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Giselle1Nach ihrer erfolgreichen „Schwanensee“-Version hat die südafrikanische Choreografin Dada Masilo nun eine neue Perspektive auf das Ballett „Giselle“ eröffnet –  musikalisch ebenso wie tänzerisch. Für das ursprüngliche Märchen hat sie eine alternative und schlüssige Interpretation gefunden. Das Resultat ist ein faszinierendes Ballett, das ebenso berührt wie sein romantisches Vorbild – wenn auch in einem ganz anderem Sinn.

Mal ganz ehrlich: Wer hat dem Albrecht jemals die tiefe Reue geglaubt, die er am Grabe der Giselle beteuert? Wer hat Giselle verstanden, wenn sie dem Mann, der sie betrogen, verraten und unter Vorspiegelung falscher Tatsachen herumgekriegt hat, bedingungslos vergibt und vor der Vergeltung der Wilis rettet? Eine amour fou? Vielleicht, aber im Verständnis der Frau von heute halt völlig daneben. Also übt diese neue Giselle Rache an ihrem Liebhaber und schlägt aus dem Jenseits mit unbändiger Wut auf ihn ein – bis auch er das Zeitliche segnet. Am Ende steigt sie über seine Leiche ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Ein starkes Stück!Giselle2

Dada Masilo, Residenzchoreografin in The Dance Factory Johannesburg, transferierte die Geschichte aus Deutschland des 19. Jahrhunderts mühelos nach Afrika. Die Königin der Jungfrauen heißt dort Sangoma und gilt als Heilerin; die Wilis sind die Geister der Ahnen, die Giselle zu sich rufen. Sangoma/Myrtha heilt Giselle, indem sie sie mit Macht ausstattet, der Macht sich zu rächen. Denn im diesseitigen Leben ist sie ein verliebtes Mädchen, das von der Dorfgemeinschaft gemobbt wird, wo es nur geht. In diesem Sinne ähnelt diese Giselle dem einfältigen Wesen, das Mats Ek in seiner Version aus ihr machte. Bei den Wilis verzichtet Masila auf eine Genderzuweisung und erlöst auch in diesem Aspekt die Frau aus ihrer Opferrolle. Sangoma/Myrtha wird von einem Mann getanzt (großartig: Llewellyn Mnguni), die Wilis sind Männer und Frauen. „… auch Männer sterben an gebrochenem Herzen“, meint die Choreografin dazu.

Giselle4Mit ihrem einzigartigen, zeitgenössischen Mix aus westlichem Bühnentanz und afrikanischem Idiom vermag Dada Masilo die Geschichten, die sie erzählt, bestens zu verkörpern. Für Frauen und Männergruppen erfindet sie wunderbar dynamische Volkstanz-ähnliche Sequenzen. Demgegenüber darf Albrecht (Thabani Ntuli) mit virtuosen Sprungvariationen glänzen. Im zweiten Akt jagen die in blutrote Gewänder gekleideten Wilis ihre Opfer in einem furiosem Bewegungsmodus mit hohen Battements, Stakkato-Moves und rasendem Tempo.

Natürlich braucht es für diese radikal erneuerte „Giselle“ auch die passende Musik. Der südafrikanische Komponist Philip Miller hat sich von Adolphe Adams Musik inspirieren lassen, aber eine durchaus eigenständige Kreation geschaffen, die mit der Tanz kongenial harmoniert. Ebenso wie die Choreografie erinnert die Musik mit sparsam verwendeten Originalzitaten immer wieder an den Ursprung.Giselle3

Nach ihrem verspielten und heiteren „Schwanensee“ (tanz.at berichtete), in dem die Tänzerinnen ihre Tutus zu Tschaikowsky mit kessen Hüftschwüngen zum vibrieren brachten, ist Masilo mit „Giselle“ eine ganz andere, aber ebenso gültige Neufassung eines Klassikers gelungen.

swanlake4Wäre es nicht unmöglich den African Groove auch nur andeutungsweise in die Balletttänzerkörper zu bringen, Dada Masilo wäre wohl längst eine begehrte Ballettchoreografin, bringt sie doch einen frischen Blick auf das klassische Erbe und macht es dadurch neu erlebbar. In jedem Fall aber hat sie das Handlungsballett wieder entdeckt und beweist seine Gültigkeit auf der heutigen Tanzbühne.

Dada Masilo / The Dance Factory am 9. August 2017 im Volkstheater im Rahmen von ImpulsTanz. Letzte Vorstellung am 11. August ebendort.

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