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Zaehmung1Erzkomödiantisch. Sich rollenbedingt zum Deppen machen – diese Chance haben Ballettsolisten auf der Bühne selten. Choreografierter Humor ist in Tanzwerken eher die Ausnahme. In John Crankos Ballettversion von Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“ – 1969 in Stuttgart uraufgeführt und seit 1976 im Münchner Repertoire und nun die Eröffnungsproduktion der neuen Spielzeit – wird die Lachmuskulatur allerdings am laufenden Band gereizt.

Anlass geben schon gleich zu Beginn Jürgen Roses charakteristische Kostüme für das intrigant miteinander konkurrierende Liebhaber-Trio. Mit einer aalglatten, renaissancetypischen Medici-Frisur trippelt zuerst der lautenspielbesessene Tigran Mikayelyan als Hortensio ins reduziert-karge, hölzerne Kulissenbild. Gefolgt von Jonah Cook als hyperschön tanzendem Lover Lucentio. Dritter im Bund: Javier Amo. Überkandidelt und rosa verkitscht gibt er sein Debüt des schusseligen, mit schrillen Gesangseinlagen durchs Stück stolpernden Gecken Gremio. Bravourös komisch.

Ziel der Wünsche aller drei Männer ist die liebliche Bianca, die erstmals Elizaveta Kruteleva verkörpert – den Münchnern bereits als Titelfigur von Ashtons „La Fille mal gardée“ in guter Erinnerung. Auch wenn jeder ihrer Schritte am Premierenabend sitzt, fällt ihre Darstellung der ein wenig eindimensional brav angelegten Kontrastpartie zur kratzbürstigen Katharina doch zu verhalten aus. Solch ein wohlerzogenes Liebeslodern nimmt man ihr nicht ganz ab. Dabei könnte sie ihr Herz weit überschwänglicher für Lucentio – ihren hübschen Schwarm – pochen lassen. In ihren Pas de deux sind Kruteleva und Cook aber bestens aufeinander eingestimmt. Ebenso wie die zwei Konkurrenten, die beim Ehepakt in die Irre geführt letztlich mit den beiden fulminant resolut-aufdringlichen Freudenmädchen von Séverine Ferrolier und Mia Rudic vorlieb nehmen müssen.Zaehmung4

Bis auf Ferrolier und Dustin Klein im Quartett von Petrucchios ausdruckstechnisch grandios blödelnder Dienerschaft ist die Münchner Wiederaufnahme-Premiere nach fünfjähriger Spielpause in allen Hauptrollen und vielen halbsolistischen Nummern komplett neu besetzt. Den Saisonstart bestreiten mit Ksenia Ryzhkova und Yonah Acosta diesmal zwei feste Ensemblemitglieder – anders als im Rührstück „Giselle“ beim Staatsballett-Neustart vor einem Jahr. Damals traten das Gästepaar Natalia Osipova und Sergei Polunin auf, die nun gemeinsam in den zwei Folgevorstellungen der „Widerspenstigen“ zu erleben sind.

Zaehmung2Mit sichtlichem Vergnügen lebt Ksenia Ryzhkova vom ersten bis zum letzten Augenblick das breite Gefühls-Potenzial der für und von Stuttgarts Ballerinen-Ikone Marcia Haydee kreierten Frauenrolle der unangepassten Katharina aus. Es gibt keinen Moment, in dem sie nicht vor Präsenz sprüht. Freilich dürften ihre Attacken auf die vom Geplänkel mit Biancas drei Verehrern aus dem Schlaf geschreckten Bewohner ganz zu Anfang noch raumgreifender sein. Aber ein Rollendebüt bedeutet auch, sich in Wiederholungen weiter zu steigern. Im Interpretationsspektrum zwischen „Zicke aus Prinzip“ und „kumpelhaft Liebender“ geht Ksenia Ryzhkova in ihrer tänzerisch kraftvollen Jugendlichkeit schon voll auf.

Was den Mann an ihrer Seite betrifft, so eroberte Münchens brandneuer kubanischer Primoballerino Yonah Acosta die ihm zugeschusterte Verlobte wie auch das Publikum im Sturm. Sympathisch, mit welcher Begeisterung ihm nach seinen (in lediglich fünf Probentagen einstudierten!) Sprungorgien sogar Kollege und Landsmann Osiel Gouneo aus der Seitenloge applaudierte. Den Petrucchio musste Gouneo verletzungsbedingt zuvor abgeben. Dem Neffen von Tanzlegende Carlos Acosta schien die Rolle geradezu auf den athletischen Leib geschneidert.

Dass Unterdrückung zwischen den Geschlechtern nicht unbedingt ein zeitgemäßes Thema ist, stimmt zwar, darf sich jedoch nicht als generelle Spaßbremse erweisen. Gerade wegen Katharinas Essensentzug durch Petrucchio funktioniert das mittlere der drei sich emotional aufschaukelnden Liebesduette der beiden Hauptfiguren bis heute unvermindert. Am Ende waren anfängliche Anlaufschwierigkeiten beim Ensemble und dem begleitenden Bayerischen Staatsorchester wie weggewischt.

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Alte Bekannte und neue Kräfte beim Bayerischen Staatsballett

Stillstand ist das Ende einer jeden guten Künstlertruppe. Veränderungen sind daher unausweichlich. Freilich braucht es auch Beständigkeit, die in vielen Tanzensembles zu Recht hohen Stellenwert genießt. Geschickt arbeitet sich Igor Zelensky, Chef des Bayerischen Staatsballetts, weiter zweigleisig vor. Das jüngste Feintuning in der Kompanie zeigte sich, als am 28. September mit John Crankos einzigartiger Shakespeare-Komödie „Der Widerspenstigen Zähmung“ die zweite Spielzeit eröffnet wurde.

Bereits zuvor hatten Einblicke ins Training und Proben am Tag der offenen Tür in den am Platzl neben den Münchner Hofbräuhaus gelegenen Studios deutlich werden lassen, dass Zelensky den Sommer über technisch wie darstellerisch verblüffende Neumitglieder mit großen Ambitionen und erkennbar wettbewerbsorientiertem Teamgeist für München gewinnen konnte. Viele tanzen vorerst in der Gruppe.

Zu den Tänzerinnen und Tänzern, die sich aus Bayern verabschiedet haben, zählen – leider – Matej Urban (jetzt Monte Carlo), Mai Kono (neu im Ballet Le Grand in Montreal) und Nicha Rodboon, die zum Ballet Flandern/Antwerpen gewechselt ist. Auch Adam Zvonař und Radka Příhodová sind in ihre tschechische Heimat zurückgekehrt (beide ins Prager Nationalballett). Aus dem Corps de ballet wird man zwei Italiener gewiss vermissen: Robin Strona wechselte zum Ballett der Semperoper Dresden und Gianmarco Romano zum Finish National Ballet.

Das Erste Solistenpaar Maria Shirinkina und Vladimir Shklyarov hat sich wieder ans heimatliche Mariinsky-Theater in St. Petersburg gebunden, wird aber für Gastauftritte (wie „Giselle“ am 7.10.) den Kontakt zum Bayerischen Staatsballett aufrecht erhalten. Mit Ivy Amista, Ksenia Ryzhkova, Javier Amo, Jonah Cook, Osiel Gouneo und Tigran Mikayelyan (insbesondere ihm dürfen wir eine verletzungsfreie Saison wünschen!) ist eine tolle feste Kerngruppe von Principals zusammengewachsen – seit Juni noch verstärkt durch den Kubaner Alejandro Virelles. In Peter Wrights „Giselle“ am 5. Oktober konnte man ihn (leider nicht ganz in Höchstform) im Pas de six mit Elizaveta Kruteleva als führendes Paar der Nummer erleben.

Zaehmung3Aus dem English National Ballet stießen zum attraktiven Virelles zwei weitere Stars hinzu: die hinreißend zierliche, souverän-formvollendete Britin Laurretta Summerscales und – als kleine Sensation – Carlos Acostas viril-kraftvoller Neffe Yonah Acosta. Pech dagegen für den erst kürzlich als Tänzer des Jahres ausgezeichneten Osiel Gouneo: Verletzungsbedingt musste er seinem Landsmann Acosta das Premieren-Debüt als trinklustiger Petrucchio in Crankos „Der Widerspenstigen Zähmung“ und dem ständigen Gast Sergei Polunin die weiteren Herbst-Vorstellungen überlassen.

Noch offen ist, in welchen Partien der beim Royal Ballet in London engagierte, in Ballettkreisen berühmte Kanadier Matthew Golding als Gast im Münchner Nationaltheater zu erleben sein wird. Bei insgesamt neun Ersten Solisten – davon nur drei feste Primaballerinen – dürften sich die drei verbliebenen Solisten Eric Murzagaliyev, Alexander Omelchencho und Alexey Popov sowie deren Solo-Kolleginnen Séverine Ferrolier, Elizaveta Krutelova, Kristina Lind und Prisca Zeisel auf viele Einsätze und Rollendebüts freuen. Klar bleibt aber: Zelenskys Suche nach der optimalen Kompaniezusammensetzung geht hiermit erst in die zweite Runde.

Zum Auftakt jedenfalls gab es selten viel zu Lachen! Crankos Figuren, die es an Kontrast nicht fehlen lassen, überraschen von Mal zu Mal durch ihre starke, sowohl im Schritt- wie im Ausdrucksvokabular präzisierte Einzelcharakterisierung. „Der Widerspenstigen Zähmung“ gehört deshalb – trotz vieler Pantomimen – bis heute zum Besten, was Tanzdramatik im Bereich des klassischen Balletts zu bieten hat.

Bayerisches Staatsballett: „Der Widerspenstigen Zähmung“, Saisoneröffnung am 28. September im Münchner Nationaltheater. Weitere Vorstellung am 8. Oktober mit Natalia Osipova (Katharina) und Sergei Polunin (Petrucchio).

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