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koch bantone1Mit „Such Sweet Thunder“ präsentierten Tobias Koch, Thibault Lac und Tore Wallert eine von Träumen inspirierte konzertante Tanz-Performance in der ImPulsTanz-Reihe „[8:tension]“, in der jungen internationalen Choreografen die Möglichkeit gegeben wird, ihre Arbeiten vorzustellen. Am selben Abend war zudem „Folk Incest“ der New Yorkerin Juliana F. May zu sehen, die menschliche Traumata und ihren Wirkungen untersucht.

„Such Sweet Thunder“ von Tobias Koch, Thibault Lac und Tore Wallert

Traum und Wachzustand, unbewusste Impulse und bewusste Wahrnehmung verschmelzen der Basler Sounddesigner und Musiker Tobias Koch, der französische Tänzer Thibault Lac und der schwedische bildende Künstler Tore Wallert zu einer Melange aus Tanz-Performance, Konzert, Installation und Lyrik. Aus Podesten, frischen Blumen und getrockneten Stengeln, aus Modellen urbaner Landschaften und beleuchteten künstlichen Biotopen gestaltete Tore Wallert ein Bühnensetting, das, von den Stühlen und Stehplätzen für das ungeplant zahlreich erschienene Publikum allseitig gerahmt, neugierig macht auf das, was darin und damit geschehen würde.

Jener „süße Donner“, ein Zitat aus Shakespeares Komödie „Ein Sommernachtstraum“, hallt vielfach und vielgestaltig durch den Saal im Untergeschoss des Leopold-Museums. Der Sound von Tobias Koch spielt mit unseren Assoziationen. Die technischen Möglichkeiten elektronischer Musik virtuos, aber stets kontrolliert nutzend, lässt er den Sound aus allen Ecken des Raumes schallen und hallen, spielt mit Tempi, Klängen und Stimmen, mischt Bekanntes („Hotel California“) verfremdet zu seinen Kompositionen, streut Stille in den Wechsel von Flächen, Geräuschen und rhythmischen Sequenzen, lässt am Seil einen mobilen Lautsprecher rotieren, singt live mit verfremdeter Stimme zu minimalistischer Musik. Der Sound ist ein Genuss.koch bantone

Und Tobias Koch tanzt. Line Dance a la „achy breaky heart“ im Duett mit Thibault Lac. Die Tanz-Performance großenteils allein bestreitend, bewegt sich Lac durch die Installation, tanzt auf den Podesten, durch das Publikum. Thibault Lac, im Tanzquartier Wien heuer bereits mit Alexandra Bachzetsis zu sehen gewesen – für welche Tobias Koch übrigens auch den Soundtrack gestaltete – (tanz.at berichtete), erweist sich erneut als Ausnahme-Tänzer mit diesem „gewissen Etwas“. Zeitgenössisches Material bringt er sensibel und kraftvoll, mit einzigartiger Expressivität und Lebendigkeit auf die Bühne. Wie in Balance-Übungen bewegt er sich auf dem Boden und den Tischen, lässt surreale Traumwelten Realität werden und provoziert, die musikalischen Strukturen brechend, unser Unbewusstes. Seine Präsenz und Ausstrahlung machen seinen Tanz zu einem besonderen Erlebnis.

koch25„Such Sweet Thunder“ spielt auch mit Cowboy-Romantik. Line Dance natürlich, Country-Zitate, entsohlte Cowboy-Stiefel und Reithosen, Glitzer-Shirts und ein weißer Hut lassen Gedanken an „Brokeback Mountain“ aufkommen. Den verschlungenen Wegen unserer unbewussten Traum-Regisseure und dem Künstler-Trio sei es gestattet, Rätselhaftes zu inszenieren. Und am Ende ein Poem von Federico García Lorca, „City That Does Not Sleep“, mit rauer Stimme aufgebrochen eingespielt.

Die komplexen Klangwelten von Tobias Koch, der intensive Tanz von Thibault Lac und die Bühneninstallation von Tore Wallert ergeben zusammen ein Stück, das verzaubert.

„Folk Incest“ von Juliana F. May

Traumata sind seit zehn Jahren das Thema der In New York lebenden Choreografin, deren 2018 entstandene Arbeit „Folk Incest“ bei ImPulsTanz als österreichische Erstaufführung zu sehen war. Und die erste Szene ist auch gleich die beeindruckendste. Eine Performerin, noch allein auf der leeren Bühne, beginnt im blendenden Scheinwerferlicht zu reden. Richtiger: sie versucht es. Hustenreiz und Worte, die einfach nicht heraus wollen, von Stotteranfällen gelähmt, wird es ihr zum Martyrium, die letztlich wenigen Worte verständlich zu formulieren. Gepresst und verstümmelt schleudert sie die Wortfetzen in den Saal, dem Publikum ins Gesicht. Ängstlich zagend und wütend schreiend, sich nebenbei nervös schminkend, liest sie wenige Sätze von den mitgebrachten Zetteln ab. Doch irgendwann durchbricht sie die Blockade und kann endlich frei und fließend reden. „Es ist etwas, das du nicht siehst. Teil vom mir, Teil von dir.“ „Du wirst reden können, wenn du erwachsen bist.“may2

Die fünf Frauen, eine Afro-Amerikanerin ist unter ihnen, hüpfen, laufen, knien, zeitweise mit entblößten Oberkörpern. Sie erzählen, skandieren gemeinsam, singen Kanons und schreien es hinaus. Zerbrochene Sätze wie zerbrochene Seelen, wütende Anklagen aus verängstigten Herzen. Es geht um Vergewaltigungen, Rassismus, Nazis und die Vergasung der Juden, um Sexismus, um Manager und Lehrer, Täter und Opfer in ihren wechselnden Rollen, Scham und Trauer, um Sprachlosigkeit und das allein gelassen werden, Eltern und Kinder und die Weitergabe der Beschädigungen. „Ich mache weiter, bis ich tot bin.“, heißt es vieldeutig.

may1„Folk Incest“ (Juliana F. May zeichnet für Konzept, Choreografie, Regie, Musik und Texte verantwortlich) bringt ein Thema auf die Bühne, das ob seiner so prägenden Natur für Individuen, die Gesellschaft, Politik und Wirtschaft verbreitet unterschätzt wird. Die unser Selbst sabotierenden Effekte und die daraus folgenden sozialen und gesellschaftlichen Auswirkungen pflanzen sich fort, werden, sofern sie unaufgearbeitet bleiben, über Generationen „psycho-genetisch vererbt“ und beeinflussen letztlich ganze Zivilisationen. Diese intensive, komplexe Arbeit stellt die Bewusstmachung mannigfaltiger Traumata und deren Wirken in ihr Zentrum, ohne Wege der Bewältigung aufzuzeigen. Aber darüber zu reden ist der erste Schritt.

„Such Sweet Thunder“, am 20. und 22. Juli 2019 im Leopold Museum; „Folk Incest“, am 20. und 22. Juli 2019 im Volx/Margareten im Rahmen von Impulstanz

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