Auf Hochglanz poliert tanzen die Smaragde, Rubine und Diamanten über die Bühne der Wiener Staatsoper bei der ersten Ballettpremiere dieser Saison. Sie funkeln hier besonders hell, denn: wo sonst spielt das Orchester die unterschiedlichen Musikstücke so wunderbar wie in Wien? Wo sonst schwingen Musik und Tanz derart harmonisch im Einklang?
Der Gleichklang zwischen MusikerInnen und TänzerInnen steigert sich im Laufe des Abends kontinuierlich, und wird dabei zu einem Narrativ über die künstlerische Arbeit des Ballettgenies George Balanchine. Ihm ist es gelungen, die Danse d’école auf ihren Bewegungskanon zu reduzieren und dezent zu reformieren. Handlungsstories und opulente Ausstattungen werden dabei überflüssig. Für diese neue Welt, in der Balanchine (1904-1983) das Ballettpublikum führte, reichen prächtige Tutus und Farbelemente auf dem Bühnenprospekt. Wenn so grandios getanzt und musiziert wird wie bei der Wiener Premiere, dann ist das Ergebnis genauso aktuell wie im Jahr 1967, als der dreiteilige Abend in New York seine Uraufführung erlebte.
Natascha Mair versprüht französische Eleganz in dem der Romantik zugewandten Eröffnungsstück „Esmeralds“. Hervorstechend ihre Arme, mit der sie lyrische Muster in den Raum malt. „Ballet is women“, sagte Balanchine einst, und die Männer haben bei ihm generell relativ wenig Strahlkraft. Robert Gabdullin erfüllt seine Rolle als unterstützender Partner der Ballerina penibel und sauber. Auch das zweite Solopaar, Madison Young und Roman Lazik, übersetzt die elegische Stimmung in würdevollen Tanz. Paul Conelly entfaltet dazu mit dem Orchester volltönend die breite Fülle der Musik von Gabriel Fauré.
Pfiffig wird es im zweiten Teil, wenn die „Rubies“ ihr Temperament entfachen. Klar, dass dafür die quirlige Nikisha Fogo und Davide Dato prädestiniert sind. Ebenso wie Ketevan Papava, denen gleich vier Kavaliere zu Füßen liegen. Jazzig, sexy, amerikanisch, gewagt: Hier darf sich schon einmal die Hüfte nach vorne schieben, wenn Strawinskis Synkopen im Orchestergraben, wo Igor Zapravdin am Klavier den Ton angibt, ihr heiteres Klangtableau entfalten.
Die Krönung kommt natürlich am Ende mit den „Diamonds“ im Modus des imperialen Russland. Olga Esina und Jakob Feyferlik transzendieren in ihrem Pas de deux ganz einfach die Schwerkraft und versetzen den Zuschauer in eine magische Welt, in der nur noch der Tanz und Tschaikowskis Musik Geltung haben. Ein außergewöhnlicher Moment, der dem Geist der seltenen Edelsteine Gestalt verleiht. Zwischen das Orchester und das Ensemble des Wiener Staatsballetts passt hier kein Blatt mehr.
Dieser Abend zeigt also nicht nur unterschiedliche Spielarten in Balanchines choreografischem Oeuvre, er ist auch eine Bestätigung des künstlerischen Kurses, den der scheidende Ballettdirektor Manuel Legris mit dem Ensemble seit seinem Amtsantritt vor 2010 verfolgt hat. Waren bei seiner ersten Premiere bereits der mittlere Teil „Rubies“ auf dem Programm (und auch schon damals durchaus bestechend), so findet dieser Weg mit dem gesamten Ballett "Jewels" einen krönenden Abschluss. Und der könnte besser nicht gelingen.
P.S.: Es ist eine kuriose Fügung des Schicksals, dass ausgerechnet jene Schmuck-Kreation von Van Cleef & Arpels, die möglicherweise Balanchines Inspirationsquelle für sein Ballett war, eine Woche vor der Premiere an der Staatsoper im Wiener Dorotheum zur Auktion gelangte. Ob der (anonyme) Besitzer, der das funkelnde Stück mit den bunten Steinen, ein Unikat, um rund 70.000 Euro erwarb, ein Ballettomane oder sich dessen kulturhistorischen Bedeutung gar nicht bewusst ist, ist nicht überliefert.
Wiener Stattsballett: „Jewels“, Premiere am 2. November 2019 an der Wiener Staatsoper. Weitere Vorstellungen (mit wechselnder Besetzung) am 4. und 5. November, 2., 5., 7. und 9. Dezember 2019 sowie am 27. und 29. Jänner 2020.