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Orpheus838Die mit Spannung erwartete Physical-Comedy-Inszenierung der köstlichen Burlesk-Operette Offenbachs vom britischen Duo Spymonkey beschert Wohlbefinden und einen bunten, netten Theaterabend voll guter Laune. Schade aber, dass der Fokus eher auf Slapstick anstatt der dem Werk immanenten Satire lag. Ein wenig mehr Zunder und Biss hätte der Feel Good-Atmosphäre nicht geschadet. Dennoch ein weiterer Erfolg der Intendantin Lotte de Beer auf ihrem sympathischen Weg der Volksopern-Erneuerung.

Offenbachs Parodie auf die antike Götterwelt samt legendärem Ehepaar Orpheus und Eurydike wird von einem komödiantischen Vorspiel auf dem Theater eingeleitet. Monsieur Le Compositeur (Marcel Mohab) beehrt persönlich die Bühne im Glauben, auf jener der Staatsoper zu stehen, wo man ihm endlich die ihm gebührende Ehre zukommen lasse und sein Werk aufführe. Der Volksopern-Betriebsdirektor (Georg Wachs) versucht, diese Illusion mit Unterstützung des Publikums (das Offenbach applaudieren muss) aufrecht zu erhalten. Denn der Frust des Komponisten ist ohnehin beträchtlich, weil es in Wien keine Statue mit seinem Konterfei gibt. Dass er dieses Los mit Richard Wagner teilt, tröstet Offenbach nicht, sondern veranlasst ihn zu hysterischem Gekreische: „Wagner ist ein Kryptofaschist!“.Orpheus315

Angetan ist er dafür von Sopranistin Hedwig Ritter, die in Kürze den Part der Eurydike singen wird, wie der Betriebsdirektor ihm erläutert. Und damit beginnt das launige Spiel ohne Aktualisierungen der Story, in dem Orpheus und Eurydike einander satthaben und sich gern voneinander trennen würden. Das passt aber der allegorischen Figur der Öffentlichen Meinung (Ruth Brauer-Kvam) nicht. Als Eurydike dann durch einen Kuss Plutos, der sie in Gestalt ihres Lovers Aristeus in die Unterwelt entführen möchte, stirbt, jubelt Witwer Orpheus. Abermals verdirbt ihm die Öffentliche Meinung die Freude und ordnet an, Eurydike vom obersten Gott Jupiter zurückzufordern.

Orpheus macht sich also auf den Weg zum Olymp, wo die High Society der Götterwelt sich langweilt und wo sich auch der dramaturgische Kern der Persiflage findet. Offenbach nahm dabei nämlich die bessere Gesellschaft von Paris gehörig aufs Korn samt ihrer Liebes-Intrigen und Verhaltensauffälligkeiten. Man kann sich vorstellen, wie köstlich dies 1858 im Theater Bouffes-Parisiens gewirkt haben muss. Bis ins 19. Jahrhundert funktionierten die Codes der Repräsentation durch antikes Götterpersonal noch recht gut. Heutigem Publikum fehlen oft Wissen und Relationen, wodurch spritzige Inszenierungen gar nicht so einfach gelingen.

Orpheus185In Wien gab es diese bestimmt bald nach der Uraufführung, nämlich 1860 im Carl Theater in der Regie von Johann Nestroy, der den Jupiter spielte. Man weiß, dass er die deutsche Übersetzung von Ludwig Kalisch, die auch in der Volksoper als Libretto dient, an Wiener Verhältnisse angepasst hat. Mit Sicherheit war seine Inszenierung gehörig scharf und voller Anspielungen, trotz Zensur. So pointiert verfuhren die englischen Regisseure Toby Park & Aitor Basauri natürlich nicht, auch mangels Kenntnis des Lokalkolorits.

Sie arbeiten als Vollblutkomödianten auf den Spuren der Commedia dell’arte, einem betont körperlichen theatralen Verfahren. Da wäre mehr noch mehr auf schauspielerischer Seite drinnen gewesen, denn vor allem im ersten Akt gerieten Szenen etwas zu statisch und wurden beinahe zum Singen von der Rampe, also dem Gegenteil des Beabsichtigten. Aber der grundsätzliche Humor war von jener britischen Feinstruktur, die wir alle lieben, wenn auch mit weniger Pfeffer als etwa die legendären Monty Python aufboten.Orpheus232

Es gab witzige Tanznummern mit Schafen, die ihr Fell lassen mussten, oder einen komischen Auftritt des Kriegsgottes Mars, der bei jedem Schritt von der Himmelstreppe die Anwesenden zum Erzittern brachte. Witzig auch der Höllenhund Cerberus, der sich erleichterte und die in pink gekleideten Liebessoldaten Cupidos, die Can Can auf der Flöte spielten. Getanzt wurde der auch zum berühmten „Galop infernal“ in der späteren Höllen-Szene. Ein wenig mehr wäre auch für die Figur der Öffentlich Meinung möglich gewesen, die man dramaturgisch durchaus gewichtiger hätte gestalten können. Jener Diskurs von „Öffentlichkeit“ ist ja immer gesellschaftspolitisch manifest und hätte leichte Aktualisierungen schon vertragen.

Orpheus50Das an barocke Schiebe-Kulissen erinnernde Bühnenbild, die witzigen und phantasievollen Kostüme sowie die köstlichen Masken von grotesker Ästhetik waren aus einem Guss und erfreulich anzusehen. Am Ende erfüllt sich auch noch Offenbachs Wunsch nach einer Statue, wenn Jupiter ihn nämlich in eine verwandelt.

Sängerisch gab es Luft nach oben, doch die Hauptpartien waren allesamt gut besetzt (Hedwig Ritter, Daniel Kluge, Timothy Fallon). Leider bleiben auch Wünsche übrig, etwa nach der Arie „Prinz von Arkadien“, die Alexander Matt als Styx nur ansingt. Alexander Joel verhalf der nuancenreichen Partitur, die vom Orchester der Wiener Volksoper in beherzte Töne umgesetzt wurde, zu animierendem Wohlklang. Trotz besprochener Schwächen ist „Orpheus in der Unterwelt“ ein sehenswertes Stück, das die Neugier auf Lotte de Beers weitere Errungenschaften vermehrt. Schon jetzt ist sichtbar, dass sie die spannendste Intendantin mit eigenständigem Profil in Wien ist.

Wiener Volksoper: „Orpheus in der Unterwelt“. Operette von Jaques Offenbach, Premiere am 21. Jänner 2023. Weitere Vorstellungen am 28. Jänner, 1. und 5. Februar.

 

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