Vor einem Jahr hat sie sich als „Olga“ im Ballett „Eugen Onegin“ dem Wiener Publikum vorgestellt. Demnächst wird sie es als Aurora zur Musik von Tschaikowski auch erobern. Liudmila Konovalova hält die Balance in jeder Lebenslage.
Die Ballerina ist glücklich. Sie darf Prinzessin sein. Auch wenn das frisch operierte Knie noch schmerzt, steht sie sicher auf der Spitze, prüft mit eleganter Attitude die vier Prinzen, die um ihre locker dargereichte Hand anhalten. Und lehnt sie alle ab. Die Prinzessin tanzt lieber mit dem von einer Unbekannten überreichten Rosenstrauß. Doch darin lauert der Tod.
Wenn die schwierige Passage des Gleichgewichts auf der Spitze im „Rosenadagio“ gelingt, dann darf sich die Ballerina bis zum Hochzeitstanz ein wenig ausruhen. Schließlich wird erzählt, dass die Prinzessin hundert Jahre schlafen muss, bis der Prinz sie wachküsst. Vladimir Shishov wird dieser Prinz (Florimund) sein und Liudmila Konovalova die Prinzessin (Aurora), wenn Ballettdirektor Manuel Legris das Ballettmärchen „Dornröschen“ (Choreografie Peter Wright nach Marius Petipa) wieder aufnehmen lässt.
Mit Einfühlungsvermögen und Erfahrung leitet die ehemalige Erste Solotänzerin des Balletts der Wiener Staatsoper, Brigitte Stadler, die Proben. Sie hat selbst alle großen Ballerinenrollen des klassischen Repertoires getanzt und auch Aurora ist immer noch im Körper verankert. Für Konovalova ist die Ballettmeisterin auch zur Freundin geworden. Ein Trost in schwierigen Zeiten. Wagte die Tänzerin im September 2010 doch den Sprung von Berlin nach Wien und landete mitten ein einem homogenen und gut gefügten Ensemble. Die Integration war nicht einfach, auch wenn es mehr eine Flucht war, die sie aus Berlin fort getrieben hat: „Dort gibt es acht Solotänzerinnen, ich war die jüngste und hatte wenig Chance auf große Rollen.“ Dann hatte die damals 25jährige auch noch Pech. Der Partner verletzte sich und sie musste auf ihr Berlin-Debüt als doppelte Prinzessin in „Schwanensee“ verzichten. Wer die Konovalova tanzen gesehen hat, erlebt hat wie energiegeladen, temperamentvoll sie sich bewegt und die Beine in den Himmel wirft, beneidet das Publikum in Tokio, das sie im heurigen Juli mit dem fulminant getanzten Auftritt als schwarzer Schwan in Erstaunen versetzt hat. Gleich nach dem Studium in Moskau war sie fünf Jahre lang Solotänzerin, drei davon Erste, im Russischen Staatsballett. 2007 wurde sie von Vladimir Malakhov an das Staatsballett Berlin engagiert.
Zögern und Zaudern gehört nicht zum Stil der mehrfach preisgekrönten Ballerina. Nach dem Abschied von Malakhov hatte sie zuerst die Pariser Oper als Ziel vor Augen: „An der Moskauer Ballettakademie, haben wir immer nach Paris geschaut. Der französische Stil, der Pariser Schick hat uns gefallen. Dann aber habe ich erfahren, dass Manuel Legris nach Wien gegangen ist und habe ihm ein Video gesandt.“ Legris engagierte sie stante pede und setzte sie vorsichtig als Solistin ein. Gegen Ende ihrer ersten Wiener Saison gelang es der brillanten Technikerin, auch das Publikum zu überzeugen. Als Giselle im gleichnamigen romantischen Ballett mit Shane A. Wuerthner als Herzog Albrecht und mit Denys Cherevychko bei der Nurejew-Gala im Grand Pas aus dem Publikumsrenner „Don Quichote“.
Dass ihr die Landung in Wien so weich gelungen ist, dankt sie Brigitte Stadler, die den Neuling liebevoll an die Hand genommen hat. „Brigitte hat mir sehr geholfen. Sie hat die Rollen mit mir einstudiert und mich mit dem Auto zum Arzt geführt. Als mein Knie operiert wurde, hat sie mich beruhigt: ‚Alles wird gut’.“ Nicht nur Stadlers tröstenden Worten, auch dem eigenen eisernen Willen hat die Tänzerin es zu verdanken, dass sie zwei Wochen nach der Operation bereits wieder im Ballettsaal stand. Die Belohnung folge auf den Fuß: Liudmila Konovalova wurde zur Ersten Solotänzerin ernannt. Eine Ehre und neuerlicher Konkurrenzkampf? „Konkurrenz gibt es immer, muss es geben daran wächst man. Aber in Wien ist die Konkurrenz ganz anders als in Berlin: Olga Esina, Nina Poláková, Irina Tsymbal und Maria Yakovleva sind alle noch jung, es gibt nicht diese Alteingesessenen. Gegen die kommt man nicht an. Sie pochen auf ihre Rechte und als junge Tänzerin bekommt man keine großen Rollen.“ Lebhaft versichert sie, dass sie nicht im Streit aus Berlin weggegangen ist: „Malakhov hat mich verstanden. Es war für mich einfach Zeit den nächsten Schritt zu wagen.“
In Wien gefällt ihr besonders das vielfältige Repertoire, das Legris aufgebaut hat. „Ich habe hier so viele Möglichkeiten, kann so viel ausprobieren und habe in dem Jahr so viel gelernt. Nicht nur was das Ballett betrifft, meine gesamte Person hat sich verändert.“ Und wieder eine dankbare Erwähnung von Brigitte Stadler.
Dass sie im Dezember als Prinzessin Aurora auf der Spitze stehen wird, kommentiert sie verschämt lächelnd: „Es stimmt, ich wollte immer eine Prinzessin sein. Jetzt habe ich die Chance für drei Stunden.“ An der Rolle reizt sie die Entwicklung der Aurora: „Ich muss in jedem Akt eine andere Person sein. Das ist nicht einfach, denn in der Musik von Tschaikowski hört man das nicht. Aber ich weiß immer, was ich tue. Auch im Rosenadagio. Wenn ich da auf der Spitze stehe, denke ich gar nicht an die Technik, sondern an das , was ich diesen Prinzen sagen will.“ Wenn die Proben anstrengend, die Passagen schwierig sind und das Knie sich wieder meldet, dann hat Liudmila Konovalova ein probates Rezept: „Ich muss daran denken, dass ich tanzen wollte und immer noch tanzen will.“ Und was sie will erreicht sie auch.
„Dornröschen“. Premiere der Wiederaufnahme an der Staatsoper am 21.12. 2011. Weitere Vorstellungen: 23., 25., 28. 2011 sowie am 3. Und 7.1. 2012.
Das Porträt ist am 2. Dezember 2011 in der "Schaufenster"-Beilage "Kultur Spezial" der Tageszeitung "Die Presse" erschienen.