Vladimir Malakhov inszenierte das zweiaktige Ballett in der luxuriös-orientalischen Ausstattung von Jordi Roig
La Péri, Staatsoper unter den Linden Berlin, 27.02.2010
An diesem Wochenende beherrschte der Tanz ganz Deutschland: während in Essen der deutsche Tanzpreis an die großartige Georgette Tsingurides - John Crankos Assistentin und „Herz“ der Stuttgarter Compagnie im Bewahren seiner Choreografien - verliehen wurde und die entzückende Jungballerina und Erste Solistin Iana Salenko vom Staatsballett Berlin den Deutschen Tanzpreis „Zukunft“ erhielt, feierte man zeitgleich in der in der Staatsoper Unter den Linden der deutschen Metropole auch ein ebenso opulentes wie berückend schönes Tanzfest.
Vladimir Malakhov, Ballettintendant, Startänzer und Choreograf in Personalunion, inszenierte das ganz im Zeichen der Romantik stehende Ballett „La Peri“, das 1843 in Paris uraufgeführt wurde. In Anlehnung an das Libretto von Théophil Gautier lässt Malakhov seinen an Lebensüberdruss leidenden Prinzen Achmed sich melancholisch nach Erfüllung entrückter sehnsuchtsvoller Liebe verzehren. Diese Form der paradiesischen Erlösung wird ihm durch eine Péri zuteil, einem engelsgleichen Wesen aus der orientalischen Welt. Péris sind als typisch romantische Figuren eine überirdische Mischung aus Sylphide, Dryade und Wili. Ist es im Original eine Blume, die den Übergang ins andere Leben symbolisierend ermöglicht, so erhält er hier einen Stern von der Péri als Talisman. Die Handlung liest sich selbst im Programmheft verworren, die Bühnenumsetzung ist dramaturgisch nicht immer gelungen. Am besten, man lässt sich ohne Widerstreben vom erlesenem Tanz des Ensemble gefangen nehmen und für zwei Stunden aus der Hektik des Alltags entführen.
Das zweiaktige Ballett wird von einem Prolog und Epilog (beide spielen im Gefängnis) umrahmt. Als Kern des Geschehens steht ein Mann (Prinz Achmed) zwischen zwei Frauen - einerseits langweilt ihn seine Lieblingsharemsdame Nourmahal, andererseits ist er von der Vision der Péri so fasziniert, dass sich ihm daraufhin im Opiumrausch die Grenzen zwischen Sein und Schein verwischen. Sein ergebener Vertrauter Roucem versucht ihn abzulenken und aufzumuntern - doch weder der Tanz der Odalisken noch das Spiel der Musiker kann den Prinzen aus seiner Melancholie reißen. Auch ein Sklavenhändler, der vier betörend schöne Prinzessinnen vorstellt, um die Lust des Prinzen anzuregen, kann den Prinzen mit der weltlichen Aussicht auf Genuss nicht aus seiner Sehnsucht nach überirdisch reiner Liebe locken. Das reale Bild der Nourmahal wird überdeckt durch die Erscheinung der Péri. Das Engelswesen schlüpft im 2. Akt in den Körper der Sklavin Leila, die auf der Flucht von den Schergen des Paschas erschossen wird. Damit hat die Péri Menschengestalt angenommen und wird von Roucem im Auftrag Achmeds in Sicherheit gebracht. Die in Ungnade gefallene Favoritin Nourmahal beobachtet das Geschehen und rächt sich ganz Gamzati-haft durch Verrat: wenn sie ihren Achmed nicht haben kann, soll ihn auch keine andere bekommen. Weil Achmed das Versteck seiner nun lebendigen Liebesvision nicht verrät, wird er wegen dieser Täuschung vom Pascha in den Kerker geworfen und zur Todesstrafe durch Sprung aus dem Fenster verurteilt. In einer verklärenden Apotheose erwartet die Péri ihren Achmed im Jenseits.
Dem damaligen romantischen Zeitgeist des 19.Jahrhunderts entsprechend galt das Interesse exotischen Handlungsschauplätzen sowie dem Überirdischen (damit hier der neue entwickelte Spitzentanz besonders gut zur Geltung kommen kann). Den luxuriös-arabischen Ausstattungsrahmen setzt Jordi Roig, der mit dieser Produktion das vierte Mal kongenialer Partner von Malakhov ist. Dezente Säulenelemente, florales Design in zartem Grün und ein auf dem Bühnenhintergrund sich öffnender Blick ins Niltal suggeriert arabischen Stil vom Feinsten.
Im „weißen Akt“, der ob seiner Pracht diesmal wegen des Handlungsortes mehr bunt als weiß ist - man befindet sich schließlich in einem paradiesischen Garten - fehlen nur (echte) Kolibris oder Papageien um sich tatsächlich wie in einer tropisch-schönen Gartenlandschaft zu fühlen - die Prospekte sind wie zarte Schleier gemalt, erinnern in ihrer Art an die duftigen Bühnenbilder des russischen Balletts. Die exquisit-geschmackvollen Kostüme unterstreichen die orientalische Note; so herrschen Haremshosen und Bustiers vor; die überirdische Welt wird mit knielangen Tülltutus repräsentiert. Das wunderbare Lichtdesign von David Bofarull taucht die Tänzer ins entsprechende umschmeichelnde Licht, das zwischen Realität und Paradies changiert.
Malakhov selbst bezeichnete seien neueste Kreation in seiner Rede bei der öffentlichen Premierenfeier im Apollosaal als „Naphthalin“. Doch von Mottenpulver kann nicht wirklich die Rede sein. Er hat das ursprüngliche Werk sorgsam bearbeitet, es mit einer sehr eleganten Choreografie versehen. Auch seine Compagnie zeigt sich in tadelloser Form. Es finden sich zwar nur wenige Charaktere im Stück, aber es sind alle Tänzer ideal besetzt. Die phänomenale Beatrice Knop besticht als liebende wie eifersüchtige Gespielin Nourmahal. Nicht nur im Ausdruck, auch in ausgezeichneter tänzerischer Form wird sie zu recht begeistert vom Publikum gefeiert, wie auch alle übrigen Interpreten. Die ätherisch zarte Diana Vishneva (als Gast vom Mariinsky Ballett) gibt ihrer Péri mit wunderbaren Port de bras die nötige überirdische Entrücktheit. Vladimir Malakhov ist ganz in seinem Element: sein Part als Achmed kommt seiner intensiven Ausdrucksstärke ebenso entgegen wie er mit der ihm so eigenen unglaublich geschmeidigen Leichfüßigkeit tanzt. Dass Glück und Pech manchmal haarscharf nebeneinander liegen erwies sich in der Generalprobe, bei der sich Dmitry Semionov bei seiner Variation verletzte und mit Bänderriss ausfiel. Da auch die zweite Besetzung Ibrahim Önal zwischenzeitlich durch eine Erkrankung außer Gefecht gesetzt war - die Grippe macht leider auch vor Tänzer/innen nicht halt - erhielt Arshak Ghalumyan als dritte Besetzung mit nur einer Bühnenprobe seine Premierenchance: und der junge Corps de Balletttänzer nutzte sie mit Bravour: mit überzeugender Bühnenpräsenz verlieh er seinem Roucem die nötige glutäugige Virilität wie rollenentsprechend ergebene Treue. Ein neu entdecktes Juwel in der Balletttruppe der Berliner! Tosender Applaus setzte bereits nach seiner Solovariation als Zeichen der zustimmenden Begeisterung ein. Das bestechende Herrentrio Alexander Korn, Rainer Krenstetter und Dinu Tamazlacaru springt und dreht akkurat und mit Verve. Die vier Prinzessinnen werden von Elena Pris (Schottland), Elisa Carrillo Cabrera (Spanien), Corinne Verdeil (Frankreich) und Gaela Pujol (Deutschland) sehr anmutig verkörpert; dieselben vier Damen erscheinen dann im Paradies als Solo-Péris. Das Damencorps ist sehr präzise. Die Musik von Friedrich Burgmüller (eingerichtet und arrangiert von Roland Bittmann und Torsten Schlarbaum) enthält leider keine prägnanten Ohrwürmer, ist aber gefällig und sehr flott, was flinke Beinarbeit bei den Tänzern erfordert. - die Staatskapelle Berlin spielt zügig unter der Leitung von Paul Connelly. Viel Jubel, lang anhaltender Beifall, frühlingshafter Blumeregen aus losen Tulpen und Rosensträußen sowie Standing Ovations lassen diesen Ausflug in eine vergangene märchenhafte Welt euphorisch ausklingen.
Weitere Vorstellungen: Vladimir Malakhov/Prinz Achmed, Diana Vishneva/La Péri/Leila, Beatrice Knop/Nourmahal am 11.3.; Mikhail Kaniskin/Prinz Achmed, Shoko Nakamura/La Péri/Leila, Elena Pris Nourmahal am 4. und 12.3. sowie Marian Walter/Prinz Achmed, Iana Salenko/La Péri/Leila, Elisa Carrillo Cabrera/Nourmahal am 13. und 15.4.