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Cinderella, Landestheater Linz, 06.03.2010

Eine wahre Telenovela ist das, die Geschichte vom armen Mädchen, das in der kalten Asche schlafen muss und dann doch den schönen Prinzen auf seinem weißen Pferd als Ehemann bekommt. So hat auch Choreograf Jochen Ulrich das Märchen inszeniert, nur dass dahinter noch eine wahre Geschichte steckt, nämlich die von ausgegrenzten Flüchtlingen, die sich in ein anderes Leben träumen und auch einmal Prinz und Prinzessin sein wollen. Sie steigen ein in die Telenovela und sind in einer anderen Welt.

Gar so schön ist die auch nicht. Cinderellas Mutter ist bereits tot, der Vater, ein Waschlappen, kann sie vor der Stiefmutter und den bösartigen Stiefschwestern nicht schützen und der Prinz ist ein eingebildeter Laffe, dem das Mädchen die wahre Liebe nicht zutraut. Cinderella verliert zwar ihren silbernen Schuh, nicht aber ihr Herz. Das bekommt dann der heimatlose Flüchtling, der sich unter dem seidenen Gewand des Schönlings verbirgt. Ein wenig schwierig zu verstehen ist Ulrichs Konstruktion des Spiels im Spiel, das durch Erinnerungen und Träume zusätzliche Ebenen birgt. Stephan Mannteufel kann da mit seinem durch unterschiedliche verschiebbare Räume und eine schwebende Projektionsfläche (!) etwas überladenen Bühnenbild auch keine klärende Ordnung hineinbringen. Doch der Meister hat Verständnis, erklärt im Programmheft Szene für Szene, was zu Prokofjews Musik passiert und wenn dann endlich die allgemein bekannte Geschichte beginnt, kann das subtile Spiel genossen werde, auch wenn die zahlreichen Andeutungen und Metaphern nicht gleich übersetzt werden können.
Prokofjew selbst hat zu seiner während des 2. Weltkriegs entstandenen Partitur genaue szenische Angaben gemacht und die Figuren subtil charakterisiert. So wenig romantisch und süßlich wie die Musik, ist auch Ulrichs Choreografie. Das Ensemble des Linzer Landestheaters hat in den drei Jahren von Ulrichs Ballettdirektion deutlich an Kontur, Homogenität und tänzerischer Ausdruckskraft gewonnen. Dazu ist in der ausgefeilten Choreografie reichlich Gelegenheit.
Aggressiv und gemein kommen die beiden Schwestern daher, die von zwei Männern (Spiel im Spiel!) dargestellt werden. Wallace Jones und Fabrice Jucquois geben sich keineswegs damenhaft und verspielt, sondern grobschlächtig und derb und spielen virtuos mit der verführerischen Tatsache, dass in den prächtigen Kleidern (ebenfalls von Mannteufel) kräftige Männerkörper stecken. Ihnen zur Seite, noch kaltherziger und gieriger, Ziga Jereb als Stiefmutter. Martin Vrany ist ein um sein Kind redlich besorgter Vater, der von den drei „Frauen“ regelrecht übermannt wird, was ihm Gelegenheit gibt, seine tänzerische Kraft zu zeigen. Mit schnellen Pirouetten und hohen Sprüngen beeindruckt auch Matej Pajgert als schnöseliger Prinz. Anna ?t?rbová als bezauberndes Aschenbrödel kommt mit Ulrichs keineswegs geschmeidiger, mitunter sogar sperriger Tanzsprache sehr gut zurecht und ist auch (wie sämtliche Mitglieder des Ensembles) darstellerisch präsent. Ist bemitleidenswert als gedemütigte Verachtete in ihrer Ecke, dann wieder rührend als junges Mädchen, das sich nach Liebe und Geborgenheit sehnt und schließlich, im glitzernden Ballkleid, eine fröhliche junge Prinzessin, die weiß was sie will. Sicher nicht in einem Luftschloss wohnen. Deshalb wird der Hochzeits-Pas de deux dann auch in T-Shirt und Sporthose getanzt. Prinz und Prinzessin, Stiefschwestern und Königin (wie im klassischen Ballett schreitet Irene Bauer wunderbar hoheitsvoll durch die Szene), Hofnarr (Alexander Novikov) und die „verlorenen Prinzen“ (Daniel Morales Pérez und Jonathan Salgado Romero), deren Rolle ohnehin nie ganz klar geworden ist, haben die Masken abgelegt. Das Spiel ist aus. Der Vorhang fällt. Der graue Alltag kommt nach dem kräftigen Applaus.

 

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