Eingeleitet wird mit „Initialen R.B.M.E“, jenem Werk Crankos zu Brahms Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 B-Dur op. 83, in dem er seinen Musen 1972 ein choreografisches Denkmal setzte, verbergen sich hinter diesen Initialen doch die Namen seiner bedeutendsten Tänzer: Richard Cragun, Birgit Keil, Marcia Haydée und Egon Madsen. Dem musikalischen Motiv (einfühlsam am Klavier: Alexander Reitenbach) und der jeweiligen Persönlichkeit dieser Ausnahmekünstler entsprechend sind die jeweiligen Sätze gestaltet: von majestätisch über duftig zu melancholisch und fröhlich. Die Bühnenausstattung von Jürgen Rose vertieft diesen Eindruck durch wie hingetupfte, jahreszeitliche Farbakzente auf den jeweiligen Prospekten an der Bühnenrückwand, die sich auch in den Trikots wieder finden. Die Choreografie ist dermaßen anspruchsvoll, dass sie auch heute noch nicht leicht zu tanzen ist, wie die nicht ganz fehlerfreie Darbietung bewies. Filip Barankiewicz stellte sich dem schwierigen 1. Satz mit forcierender Virilität, aber ist damit nicht immer glückreich. Alicia Amatriain folgte und vermittelte zarten Frühlingshauch, und wird aus der begleitenden Männerriege von Evan McKie besonders sorgsam gepartnert. Sue Jin Kang vermittelte ätherische Zerbrechlichkeit in vollendeter elegischer Schönheit – dabei unterstützt von Jason Reilly. Alexander Zaitsev rundete mit erfrischender Herzlichkeit ab, bis alle vier Protagonisten sich am Ende vereinten mit zur Loge gerichtetem Blick, in der John Cranko immer saß: als finale Ehrerbietung vor dem Meister.
Nach der Pause stellten die „Frank Bridge Variations“ von Hans van Manen zur Musik von Benjamin Britten („Variations on a Theme of Frank Bridge“) als Stuttgarter Erstaufführung erneut einen Bezug zu John Cranko her – war doch seine erste Kreation zu einer Komposition des britischen Musikschaffenden erfolgt. Das Stuttgarter Ballett hat insgesamt 26 Werke des niederländischen Choreografen in seinem Repertoire. In dem für van Manen typischen Stil wird auch in diesem für hier neuesten Stück die Beziehung zwischen Mann und Frau zum Thema gemacht: Machoverhalten auf beiden Seiten, das aber nicht einer humorvollen Note entbehrt, wenn sich Mann und Frau einander nähern oder wieder trennen. Sowohl Trikots wie Bühnenbild stammen von Keso Dekker, ins rechte Licht gesetzt wurde durch Bert Dalhuysen und wie so oft lenkt nichts vom Tanz und der starken Aussage ab, die sich in den Bewegungen wieder findet: die beiden Hauptpaare Hyo-Jung Kang, Marijn Rademaker sowie Katja Wünsche und Jason Reilly zeichneten diesen „Kampf der Geschlechter“ mit souveräner Stimmigkeit.
Den Abschluss bildete ein sinnlich-ekstatischer tänzerischer Vulkanausbruch: der „Bolero“ von Maurice Bejart existiert ebenso lang wie die Stuttgarter Compagnie und ist ein tänzerisches Meisterwerk. Wie die suggestiven Rhythmen von Maurice Ravel sich in steigernder Intensität aufbauen, um sich im finalen Kollaps eruptiv zu entladen, hat seit seiner Uraufführung nichts an packender Strahlkraft verloren. Seit 1984 im Repertoire der Stuttgarter, gibt diese Aufführung jedes Mal ein fulminantes Lebenszeichen des Tanzes. Auch hier finden nur einfachste Mittel Verwendung, um das äußerst wirkungsvolle Setting vorzugeben: ein runder roter Tisch in der Mitte, dazu 36 rote Stühle im offenen Geviert zu je 12 Sesseln angeordnet. 36 Männer umgeben die Person (die bei Béjart sowohl männlich wie weiblich sein kann) auf dem Tisch in der Mitte. Ausgehend von dort schleicht sich der Rhythmus in die Körper der übrigen Tänzer, wird aufgenommen, in sparsame wie eindringliche Bewegung umgesetzt bis alle davon erfasst sind und die Musik ihrem Höhepunkt zusteuert. 37 durchtrainierte, perfekt modellierte Adonis-Körper verfallen den rhythmischen Klängen – ein Effekt, der unbedingt live erlebt werden muss, so eindringlich, so dynamisch, so mitreißend und so erotisch ist dieser Bann, der sich über die Szenerie legt. Der Zauberer in der Mitte, der diesmal die Massen lockte, war Friedemann Vogel. Der junge Deutsche – Tänzer des Jahres 2010 – ist unglaublich: mit jungenhaftem Charme und sinnlicher Magie verführte er nicht nur die übrigen auf der Bühne sondern auch das Publikum derart, dass die Begeisterungsstürme danach kein Ende finden wollten und in Standing Ovations gipfelten: Sensationell!
Stuttgarter Ballett: „Cranko Van Manen Béjart“, 11. Februar 2011 im Rahmen der Ballettfestwochen im Stuttgarter Staatstheater