Das Nationalballett of China (NBC) zeigte während der 37. Hamburger Ballett-Tage das Erfolgsstück „Die rote Laterne“. Der mit allen westlichen Wassern gewaschene Choreograf Xin Peng Wang schuf nach dem gleichnamigen Film von Zhang Yimou eine effektvolle Show.
Der Mandarin will eine weitere Konkubine in seinem Bett. Da hilft kein Zetern und Schreien und schon gar nicht die Liebe zu einem anderen, einem Schauspieler der Pekingoper. Die „zweite Konkubine (Zhang Jian) wird mit Gewalt genommen, auch wenn es der Ehefrau (Lu Na) und der eifersüchtigen ersten Konkubine (Meng Ningning) nicht passt.
Während einer privaten Vorstellung der Peking Oper schleicht sich die zweite Konkubine fort, um ihren Geliebten zu treffen. Das beobachtet die erste Konkubine und verrät den Regelverstoß ihrem Herrn. Doch die Intrige bringt ihr nur Unglück und auch die beiden Liebenden haben den Zorn des Herrschers erregt. Er fackelt nicht lange, alle drei müssen auf dem Scheiterhaufen sterben.
Die Geschichte sollte zu Herzen gehen und auch zornig machen, darüber wie die Mächtigen mit den ihnen Anvertrauten umgehen. Doch trotz der farbenprächtigen Kostüme, der ausgeklügelten Lichtregie (wie das Libretto von Filmregisseur Zhang Yimou selbst geschaffen), auflodernden Fackeln und glühend roten Laternen (sie beleuchten das Haus der jeweils erwählten Konkubine) und einer mal tosenden dann wieder einschmeichelnd dahin plätschernden Musik (Qigang Chen) kann die bewegte Farbenpracht nicht berühren.
Das Ballett „Die rote Laterne“ ist nach dem gleichnamigen Film von Zhang Yimou entstanden. Im Gegensatz zum mit dem Silbernen Löwen belohnten Film (1991), der wegen seiner (versteckten) Kritik am herrschenden System in China lange Zeit nicht gezeigt werden durfte, ist das Ballett eine flache Show, transportiert vor allem vom Corps de ballet. Die Protagonistinnen, die im Film Trägerinnen der Handlung sind, tragen auf der Ballettbühne keine Namen und bleiben flach im Klischee stecken.
Geschickt vermischt der international bekannte Choreograf Xin Peng Wang (zur Zeit Ballettdirektor am Theater Dortmund) Elemente des neoklassischen Balletts mit den darstellerischen Komponenten der Peking Oper (zeigt als Vorstellung in der Vorstellung auch ein Stück Peking Oper pur) und krönt das Konglomerat mit reichlich Show-Effekten. So hat man zwar viel zu schauen und zu bewundern, erfreut sich am akrobatischen Können und der Perfektion der SolistInnen, ist beeindruckt und sogar verängstigt vom martialischen Synchronaufmarsch der athletischen Männer und entzückt von den spektakulären Verrenkungen der federleichten Damen, vermisst jedoch Spannung und Gefühl. Die Geschichte von heißer Liebe und kalter Hinterlist will nicht ans Herz greifen.
Tableau schob sich vor Tableau, Sprung und Hebung folgte auf Sprung und Hebung, Lichtspiel auf Lichtspiel, Schrittkombination auf Schrittkombination, Filmsequenz reihte sich an Filmsequenz. Bunt und plakativ, eine Hülle ohne Inhalt. Mir war, als deklamierten die Gäste aus China in perfektem Versmaß und akzentfrei eine Elegie von Rilke, ohne ein Ahnung zu haben, was sie da rezitierten. Einst orientierten sich die Europäer mit ihren Chinoiserien an der chinesischen Kunst und produzierten Kitsch. Jetzt gehen die Chinesen den umgekehrten Weg: Sie benützen das aus ihrer Sicht exotische Vokabular des klassischen (und neoklassischen) Balletts und bleiben mit perfekter Technik an der schillernden Oberfläche. Darunter herrscht ein Vakuum.
Nationalballett of China: „Die Rote Laterne“, im Rahmen der 37. Balletttage Hamburg, 6.7. 2001.