„Scores N°4: Unter Protest“ - das Festival für Kunst und Theorie im Tanzquartier, beschäftigt sich - in Resonanz auf die Bewegungen des Widerstands im arabischen Raum - mit der Handlungsfähigkeit des Körpers. Der Fokus wird nicht auf die Reaktion auf Ereignisse gerichtet, sondern Choreografie wird als Möglichkeit der Intervention und Teilhabe weiter-gedacht.
Der Körper als Produzent von Bewegungen der Gegenläufigkeit oder als Provokateur, der aktiv Widerstand formulieren kann. Im Akt des Choreografierens wird ein Standpunkt gewählt, Positionierungen zum Anderen festgelegt, Territorien markiert. Nicht nur der Körper wird in Bewegung gesetzt, auch festgesetzte Konzepte, Stereotypen von Fremdheit, Ethnizität, Religion und Nation können ins Wanken gebracht werden, Frei-Räume können erschlossen werden.
Laurent Chétouane (F/D) widmet sich in seiner „Hommage an das Zaudern“ gegen Ökonomisierung und Vereinfachung, die keinen Raum für Komplexität und Vielfalt bieten. In seinem Stück für zwei Tänzer und einen Pianisten inszeniert er das Zaudern nicht als Handlungsschwäche oder als Unentschlossenheit, sondern als Öffnung der Bewegung zur Mannigfaltigkeit. Er reduziert sich nicht auf logische Handlungsabfolgen, nimmt auch nebeneinander existierende Optionen wahr und betritt die Lücken die sich zwischen Entscheidungen auftun können.
Manch einen Zuseher oder Zuseherin vermag Chétouane durch seine Choreografie in eine Krise zu stürzen. Verschiedene Formen des Widerstands gegen die Rolle des aufmerksamen Pendants zum Akteur werden still oder weniger still erprobt. Einige verlassen den Schauplatz physisch, andere mental. Schlafen und Lesen werden von der Rezensentin ebenso beobachtet wie gespannte Aufmerksamkeit. Insgesamt jedoch wird ein Raum der Vielfalt an Handlungsmöglichkeiten erschlossen - auf der Bühne, wie auch im Zuschauerraum - der zum Ausgangspunkt für eine Verlängerung in den Alltag genommen werden kann.
Laurent Chétouane ist Regisseur, Choreograf, Theaterwissenschaftler - und hat ein Ingenieurstudium absolviert. Er inszeniert seit 2000 an zahlreichen großen Bühnen, seit 2006 auch im tänzerischen Kontext. 2008 erhielt er die Wild Card der RUHR.2010 anlässlich des „Tanzstücks #1: Bildbeschreibung von Heiner Müller“ und den Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen für hervorragende junge Künstler. (Siehe auch die Buchbesprechung: Tanz & WahnSinn, Dance & ChoreoMania.)
Laurent Chétouane „Hommage an das Zaudern“ im TQW/Halle G am 10. Dezember 2011
Weitere Vorstellung: 11. Dezember 2011