Die Verletzungen sind ausgeheilt und das für die erste Vorstellung der Wiederaufnahme von „Anna Karenina“ vorgesehene Protagonistentrio zeigte seine Version des Balletts von Boris Eifman. Dagmar Kronberger in der Titelrolle ist die „Anna“ schlechthin, hin und hergerissen zwischen dem Ehemann (Eno Peci) und dem Liebhaber (Shane A. Wuerthner).
Kronberger, Peci und Wuerthner tanzen eine geschmeidig-weiche Tragödie, die das bittere Ende von Anfang an ahnen lässt. In der differenzierter Darstellung des Ehepaars kann Shane A. Wuerthner, der bei seinem Rollendebüt vor fünf Jahren noch schüchtern und etwas ungelenk auftrat, durchaus mithalten. Die schwierigen Pas de deux meistert ohne Probleme und zeigt einen Verliebten, der der Liebe nicht gewachsen ist. Eno Peci ist als Karenin ein Mann, der es nicht schafft, aus dem selbst gebauten Gefängnis auszubrechen, seiner Frau die nötige Liebe zu geben und sich über die gesellschaftlichen Zwänge hinwegzusetzen. Auch im Leid bleibt er zurückhaltend und stumm.
Dagmar Kronbergers Anna bleibt immer Dame, ist keine himmelhochjauchzende Verliebte, keine treulose Ehefrau und verantwortungslose Mutter, die in die Arme des Geliebten fliegt. Die Zweifel und Gewissensbisse, die schon den Beginn der plötzlich entflammten Verliebtheit überschatten, wollen nicht weichen und was diese Frau sucht, kann der junge Offizier ihr nicht geben. Wuerthner zeigt, dass er dies gleich spürt und sie dennoch nicht verlassen will. Die drei Charaktere sind in einem sublimen Dreieck miteinander verschlungen und können sich nicht befreien. Für Anna bleibt nur der Tod.
Mit stürmischem, lang anhaltenden Applaus bedankte sich das enthusiasmierte Publikum für einen wundervollen Abend.
„Anna Karenina“, 28. März 2012, Staatsoper Wien.
Nächste und letzte Vorstellung dieser Saison in derselben Besetzung, am 9. April 2012.