Akram Khan war mit seinem neuen abendfüllenden Programm „Desh“ zu Gast im Festspielhaus St. Pölten und begeisterte das Publikum. Der Titel sagt es schon – Desh bedeutet auf Bengali Heimatland –, es ist ein sehr persönliches Werk, dass der Tänzer und Choreograf hier in einer Soloperformance zeigt. Er erzählt in unnachahmlicher Körpersprache von der Suche nach einer Balance in einer unsicheren Welt.
Zwischen England, wo er geboren ist, und Bangladesh, woher seine Eltern stammen, sucht er seine Wurzeln, holt Erinnerungen an den Vater zurück, erzählt einem Kind (seinem Kind, sich selbst als Kind?) die alten Märchen, begibt sich in die Natur und zu den Sternen und verwebt die einzelnen Teile mit einem animierten Video und einer perfekten Lichtregie zu einer ebenso spannenden wie berührenden Vorstellung.
Khan selbst spielt alle Rollen, mit Maske und Mimik, Tanz und mündlicher Erzählung. Vergangenheit und Gegenwart fließen ineinander, er spricht mit der Stimme des Vaters, der bereits im Grab liegt und telefoniert mit dem Handysupport (weil die Verbindung gestört ist und er nicht weiß, wo er sich befindet) und nimmt an einem Aufstand teil. In vielen Szenen denkt er Entwurzelte über seine Wurzeln, über seine Identität und die Kindheit, als er noch an Märchen glaubte, nach und begibt sich auf die Suche nach sich selbst. Das Ende ist tröstlich. Der Sohn zieht das Hemd des Vaters an und meldet sich wieder beim Support: „Alles in Ordnung. Ich bin jetzt verbunden.“
Schon früh hat Akram Khan den rasant wirbelnden Kathak, die älteste Form des klassischen indischen Tanzes, studiert und verwendet ihn in dieser Produktion auch als Basis seiner Bewegungssprache. Er stampft und hüpft, geht übergangslos von der Senkrechen in die Waagrechte über, scheint sich mitunter knochenlos als Spirale um sich selbst zu winden, wirbelt die Gliedmaßen wie Peitschen, um gleich darauf still zu sitzen, als kleines, gebeugtes Männchen und mit verstellter Stimme als Vater zum Sohn zu sprechen. Da zu kommen Elemente aus Pantomime und dem Tanztheater, die fließend und bruchlos ineinander übergehen
Khan, bei aller persönlichen Emotion und Betroffenheit, weiß was er dem Publikum geben muss und hat ein exzellentes Team versammelt, das immer wieder mit Effekten und Überraschungen verblüfft. Jocelyn Pook hat mit Naturgeräuschen, indischen Weisen und europäischem Melodien einen Musikteppich komponiert, der so recht zum Wohlfühlen ist, kuschelig und warm. Der bildende Künstler Tim Yip ist für das Bühnendesign und die Kostüme verantwortlich und der erfahrene Lichtdesigner Michael Hulls, taucht die Bühne in magisches Licht. Für die knapp gehaltenen Dialoge und Texte (in Englisch mit deutschen Übertiteln) hat Akram Khan die Hilfe des Autors und Lyrikers Karthika Nair in Anspruch genommen. Der Clou dieses beeindruckenden Tanzstückes aber ist der Animationsfilm der Company Yeast Culture die sich so nahtlos in Khans Performance fügt (oder auch umgekehrt, in die sich Khan so perfekt einfügt), als wären sie alle, die Bäume im Urwald, das Krokodil und der Elefant die Flut, der Wind und die Wolken eine einzige Tanzcompany.
Auch wenn Akram Khan, Tänzer zwischen den Kulturen, ein sehr persönliches Stück zeigt, ist es ein Märchen, eine Meditation über sein Thema, die Wurzellosigkeit und die Suche nach einer Heimat und einer Identität. Sein Vater lebt noch und er kennt Bangladesh nur von Besuchen. Egal, es geht nicht um eine Beichte sondern um einen zauberhaften Abend, gestaltet von einem faszinierenden Tänzer, der seine Inspiration aus den unterschiedlichen Kulturen bezieht.
Akram Khan: „Desh“, 6. April 2013, Festspielhaus St. Pölten