Herausforderungen textlicher oder theatraler Natur bravourös zu meistern, ist seine Spezialität. Gerne greift er auch nach als „unspielbar“ geltenden Theatertexten à la Elfriede Jelinek und beweist: Es geht! Mit seinem Team vom Thalia Theater in Hamburg erfolgt bei den Wiener Festwochen die Uraufführung von Nicolas Stemanns neuester Arbeit, die einmal mehr den Theater-Performance-Schaffensraum um eine Nuance erweitern soll.
Nicolas Stemanns „Kommune der Wahrheit. Wirklichkeitsmaschine“ wagt sich an ein großes Thema: an die Nachrichten-Medien-Welt, die vorgaukelt, „Wirklichkeit“ transparent, leicht verdaulich, häppchenweise, zu servieren. Seine Wirklichkeitsmaschine liegt inmitten von zwei Seiten der „Wahrheit“, das Publikum ist zu beiden Seiten der Bühne situiert. Zuweilen wird es Zeuge davon, dass „drüben“ wohl die „bessere“ Wirklichkeit kredenzt werden muss, zuweilen werden vom Regisseur auch Plus-Minus-Pole bestimmt, gebuht wird dann auf der einen Seite, auf der anderen Seite gejohlt und geklatscht. Die Stärkeren (oder die mit mehr Ausdauer) gewinnen das Rennen um das Sahnehäubchen auf der Wirklichkeits-Wahrheits-Melange.
Zu viel Weltnachrichten scheinen aber selbst den mit allen darstellerischen Mitteln gewaschenen SchauspielerInnen nicht wohl zu bekommen. Ein ermattetes Ensemble stellt sich am Ende eines 120-stündigen Kommunen-Wochenendcamps, zu dem sich das gesamte künstlerische Team der Produktion in der Halle E im Museumsquartier "eingeschlossen" hat, den ZuschauerInnen, die am Abend die Ergebnisse begutachten dürfen. Der Nachrichten-Overkill scheint die Magie der Kunst, die nach Adorno „von der Lüge Wahrheit zu sein“ befreien kann, erschreckend zum Erliegen zu bringen. Zuweilen funkeln zwar Juwelen Stemann`scher Performance-Kunst, wenn Nachrichten als Musical oder im Chor gesungen werden. Auch als Gute-Nacht-Geschichte funktionieren sie, oder wenn die Nachrichten mit Wirklichkeits-Attributen materialisiert werden: Drohnenangriffe werden mit Spielzeug-Hubschraubern und gewaltigen Detonations-Sounds „verwirklicht“.
Insgesamt zeigte sich die Arbeit an ihrem zweiten Aufführungstag noch etwas halbgar und ausbaufähig. Inhaltlich bleibt sie doch allzu sehr an bereits altbekannter Medien-Kritik haften, ohne künstlerische Perspektiven zu finden. Doch da die „Kommune“ täglich arbeitet und sich entwickelt, sieht der nächste Tag vielleicht schon ganz anders aus. Jedenfalls verspricht jeder Aufführungstag „eine ewige Wiederkehr des Neuen“ und je nach Nachrichtenlage eine aktualisierte Version der „Wirklichkeitsmaschine“.
Nicolas Stemann, Kommune der Wahrheit. Wirklichkeitsmaschine, Halle E Museumsquartier, 2. Juni 2013, noch zu sehen am 5. Juni 2013, 19 Uhr, www.festwochen.at