Nach drei Abendprogrammen im öffentlichen Raum des Grazer Joanneumviertels endete das Internationale Tanztheaterfestival am 12. Juli mit einer Performance im Rahmen der Ausstellung „Wer, ich? Wen, Du?“ von Katharina Grosse im Kunsthaus Graz. Gleichzeitig fand erstmals ein Tanzfilm Festival für 360° Fulldome Shortcuts mit abschließender Prämierung statt – spartenübergreifende Erweiterungen des Festivals also, die Möglichkeiten boten, neue Perspektiven anzubieten bzw. zu erkunden.
Die Eröffnung am Sonntag, 6. Juli war als „Jahrmarkt des Tanzes“ angekündigt. Das machte neugierig. Das an die örtlichen Gegebenheiten im Joanneumsviertel angepasste Format unterschied sich allerdings nur wenig von dem, was auch schon in den letzten beiden Jahren zu erleben war: Im ersten Teil chronologische, kurze und Mini-Präsentationen der zum größten Teil am Festival und/oder an der Bühnenwerkstatt beteiligten Künstler an unterschiedlichen Orten – unterbrochen vom jeweiligem hektischen Ortswechsel des Publikums, um einmal vielleicht doch etwas mehr vom Präsentierten zu sehen. Schade, dass man die Chance des gleichzeitigen Präsentierens an unterschiedlichen Orten im Sinne eines Jahrmarktes (und im Sinne des besseren Sehens) nicht ergriffen hatte. Bunt war das Angebot allerdings sehr wohl, reichte es doch von Gyrokinesis über akrobatische Parkour-Szenen, Hip-Hop und Contemporary-Formen zum Linedance von Damen 50+ mit Willi Gabalier bis hin zu auf der Bühne gezeigtem Tangotanztheater und einigem anderen mehr.
Am Montagabend bot die auch heuer aus Zürich angereiste Cie.Drift mit der Soloperformance „Clouds in my Room“ einen der Höhepunkte des Festivals: Patricia Rincon entführte mit großem künstlerischem Können in unterschiedlichen Sparten gleichermaßen unterhaltsam wie tiefsinnig und mit ungebändigter Phantasie in eine von ihr kreierten, erträumten Welt - in die von so mancher Frau. Jedem Zeitgeist zum Trotz tut sie ihr Ding, nimmt sich dabei viel Zeit und mit fester Hand ein Publikum, das sie schließlich nur mehr ungern loslässt. Christina Medina gab in ihrer Miniatur „Still Movement“ eine sportliche Form des Tanzes im weitesten Sinne zum Besten. Auch wenn man die (nicht sehr glückliche) Ankündigung ihrer Vorschau bei der Eröffnung als Raubtier nicht erlebt hatte, blieb man ob der auch durch den Ort aufgelegten Assoziationen wohl eher banal bei diesem einfachen Bild haften.
Beim Dienstag-Abendprogramm hatte der Wettergott ausnahmsweise kein Erbarmen und öffnete fast bis zum Ende seine Schleusen. Unbeirrbar und dankenswerterweise ließen sich die beiden Künstler nicht von ihrem Programm unter freiem Himmel im Lesliehof abbringen; Rutsch-Tribute mussten dennoch gezahlt werden und vom Publikum wahrscheinlich solche an kleine „Adaptation“ im Gezeigten. Nichtsdestotrotz oder vielleicht gerade deswegen begeisterte Autodidakt Ference Fehér, der schon 2005 beim Grazer Festival tanz schritt weise das Publikum mit großer Eigenwilligkeit in Ausdruck und kaum zuordenbarer Bewegung in seinen Bann gezogen hatte; das Thema des Ausgeliefertseins wurde in „Exit Room“ durch die Wetterunbilden theatralisch in seinem realen Bezug unterstrichen, mehrfach und zutiefst spürbar. In einer zweiten kurzen Performance, mit „Imago“ nochmals in vergleichbarer Formensprache eine ähnliche Thematik zu behandeln war allerdings keine gute Idee – bei aller künstlerischer Qualität griff es nicht mehr, zerrann das Gezeigte zwischen den Tropfen. Dem jungen Multitalent Gregor Krammer und seinem Programm fehlt es wohl kaum je an Kontrastierendem zu jeder Art anderer Programme. Ein authentisches Showtalent, dem Bewegung im Blut, Stimme in der Kehle, Sprechen auf der Zunge und so manch guter Gedanke im Kopf liegt – zum jederzeitigen Gebrauch abrufbar; so scheint es jedenfalls und so überzeugt er; in der gezeigten Zusammensetzung allerdings bei einem Tanzfestival eher marginal.
Die seit einiger Zeit vielerorts anzutreffende Verbindung von bildender und performativer Kunst ist im gegebenen Fall eine besonders gute, weil grundsätzlich stimmige: Der Bewegungs- und Farbenfluss von Katharina Grosses Installation kann als Bewegung in Ruhe empfunden werden. Elio Gervasi hat mit Yukie Koji, Hannah Timbrell und Kira Maria Kirsch zur großartigen Musik von Armin Pokorn versucht, dieser visuelles Leben einzuhauchen: Das so entstandenen „ Drifting Through - FarbFlussKörper" deckt diese Möglichkeit allerdings nur teilweise ab; wirklich überzeugend ist etwa Yukie Kojis Solo in einer der Endsequenzen. Sie spielt mit den Gegebenheiten der Installation, scheint sie in Bewegung zu setzen, löst sie auf und baut sie neu. Oft genug sonst ist die Verbindung eher zur Musik nachvollziehbar als zum Ort, der dann jeweils zwar Dekoration darstellt, aber nicht mehr – und das hat er eigentlich nicht verdient; auch, wenn manche Bewegungssequenz für sich allein von individueller Kraft ist.
„Shortcuts 2014“, ein experimentelles Tanzfilmfestival und ein Filmwettbewerb im 360° Full Dome, das in dieser Art eine Uraufführung darstellte (Tanzanimationsfilme im Full Dome gibt es schon, doch waren diese hier ausgeschlossen) und nach einer Idee von Festivalleiterin Ursula Gigler- Gausterer, kuratiert von Eva Postl realisiert wurde, fand nicht nur in seiner internationalen Ausschreibung Interesse. Die 37 eingereichten Arbeiten, die im Kuppelzelt an sechs Nachmittagen zu sehen waren, wurden auch vom Publikum gut angenommen. Die Jury - Barbara Pichler, Katrin Bucher Trantow, Rio Rutzinger sowie Gigler-Gausterer – vergab den ersten Preis an ORB1T , ein sechsminütiges Video, das sich „aus der Drehbewegung als zentralem tänzerischen und filmischem Gestaltungselement entwickelt…“, lautete unter anderem die (nicht vollkommen nachvollziehbare) Jurybegründung. Der zweite Preis ging an AZOTARA, ein hochinteressantes, abstraktes Video, das allerdings, so meint die Verfasserin, in gängiger Projektionsform besser wäre – auf jeden Fall als Full Dome Projekt nicht überzeugte. Den dritten Preis erhielt THE BEAUTIFUL, eine in der Tat „…komplexe,… einfallsreiche Gestaltung der visuellen Räume und die spielerische Erkundung dieser Dome-Landschaften in filmischer und tänzerischer Hinsicht.“
Es waren erste und damit nicht immer gelungenen Schritte, die durch diese Initiative in einem neuen Medium getan wurden. Aber es sind interessante, bislang ungenutzte Möglichkeiten, die hiermit durch dieses Medium an Künstler herangetragen und einem Publikum eröffnet wurden. Schritte, die es wert sind, weiter gegangen und bewusster gesetzt zu werden; denn – sobald man sich wirklich einlässt, ergibt sich tatsächlich eine bislang nicht erlebte Form der Bewegungswahrnehmung. Man kann auf Weiteres gespannt sein.
23. Internationales Tanztheaterfestival Graz, 6. bis 12. Juli 2014