Choreograf Georg Blaschke und sein Team setzen sich in der Akademie für Bildende Kunst am Schillerplatz mit Hieronymus Boschs „Weltgerichtstriptychon“ auseinander, singen im Paradies dreistimmig und leiden in der Hölle. Eine choreografische Studie, bildhaft, beeindruckend und auch verstörend.
Das Paradies ist gähnend leer. Ein Hund schläft in der Ecke, ein paar Vögel picken im Gras, Adam und Eva sind gleich zwei mal da, auch eine in die Ferne blickende Jesusfigur mit der typischen Haltung der rechten Hand, Zeige- und Mittelfinger in segnender Gebärde gehoben, und Satan im Apfelbaum. Ganz oben sitzt im nebligen Nimbus und schaut zu wie die Engel stürzen. Das ist aber schon nicht mehr paradiesisch.
So wird auch der linke Seitenflügel das von Hieronymus Bosch um 1505 gemalten als dreiteiliges Altarbild gemalten Weltengerichts lediglich zum „Prélude Paradise“, in dem die drei Engel in wunderbaren Renaissancefarben bemalten Mänteln (Hanna Hollmann) singen als wären sie ein vielstimmiger himmlischer Chor. Chorleiterin Clélia Colonna mit Rotraud Kern und Magdalena Chowaniec schwingen sich musikalisch von der Renaissance bis ins die Jetztzeit, quinkelieren und tirilieren, skandieren und rezitieren, schmettern und flöten, im Terzett und Kanon, und entpuppen sich schließlich als energische Punk-Cherubim und Rap-Seraphen, während sie sich im Paradies ergehen und amüsieren, sich wiegen, biegen und schließlich stürzen müssen.
Schade!
Im zweiten, dem vielfältigen Personal auf Boschs Gemälde entsprechend, etwas längerem Teil, geht Blaschke den Maler frontal an. „Bosch frontal“ versetzt uns mitten in die Hölle, in der die Menschen für ihre lässlichen und schweren Sünden mit Hauen, Stechen und Brennen, mit Mühsal und Folter, Entsetzen, Furcht und Schrecken bestraft werden. Anfangs sehe ich den geschundenen Körpern, den in Tiere und Fantasiefiguren verwandelten halbnackten Menschenkindern (Mirjam Klebel, Pawel Duduš, Arttu Palmio, Radek Hewelt) noch gebannt zu. Oft scheint der Raum zum Bild zu werden, die verschlungenen, gekrümmten, verunstalteten Figuren erstarren, zeigen des Malers Talent für spannungsgeladene Choreografie und des Choreografen Idee von der „Grafik des Tanzes.“ Für intellektualisierende Überlegungen ist kein Platz, der Satan wirft die Batterie der Ventilatoren an, die die Hitze im Raum mit Getöse und Dröhnen umwälzen, den Raum (ich bin jetzt mitten in der Hölle) in rotes Glühen tauchen und die Qualen der armen Sünder am eigenen Leib spürbar machen.
Gnade, Gnade oh Herr.
Klimax! Krisis! Stille! Erlösung?
Wie zu Beginn der Performance, stehen die vier TänzerInnen an der weißen Wand im Hintergrund, strecken die Hände mit gespreizten Fingern empor. Sie erfahren keine Hilfe, keine Gnade.
Schön, dass der begeisterte Applaus nicht sofort einsetzt, mir Zeit gibt, in die Realität mit nachtblauem Himmel und zunehmendem Mond zurückzukehren.
2016 wird ein Bosch-Jahr sein, weil seines Tod vor 500 Jahren gedacht wird, nicht nur in Wien, sondern auch in Paris und Madrid, wo weitere wichtige Bilder des Renaissance-Meisters zu sehen sind. Georg Blaschke hat mit „Prélude Paradise (ein Chor)“ und „Bosch frontal (ein Tanzstück)“ bereits voraus gedacht.
Georg Blaschke / M. A. P. Vienna: „The Bosch Experience“, 4. August 2014, Akademie der bildenden Künste, x:bit. Im Rahmen von ImPulsTanz in Zusammenarbeit mit der Akademie der bildenden Künste.
Weitere Vorstellungen: 5., 6., 7, 8., 11. August. Die Gemäldegalerie ist für Besucher eine Stunde vor Beginn der Vorstellung geöffnet.