Fukushima dürfte eigentlich nie in die Kategorie „Nachrichten von gestern“ fallen, denn diese Gefahr ist auch nach drei Jahren noch sehr aktuell. Doch in Japan arbeitet man heftig am Vergessen der Nuklearkatastrophe – stehen doch 2020 die Olympischen Sommerspiele in Tokio ins Haus. Die Tänzerin Yukie Koji und der Regisseur Hanspeter Horner haben aus diesem widersprüchlichen Thema eine beeindruckende Performance gestaltet. Uraufführung von „’T’ wie Tsunami“, einer Produktion des Choreographic Center Bleiburg /Pliberk, war ebendort im Kulturni Dom.
Der Tsunami fegt in Form einer riesigen braunen Stoff-Skulptur über die Bühne. Immer wieder bäumt sich das Monstrum auf und kommt dabei dem Zuschauerraum bedrohlich nahe. Nach jeder Welle fallen Beine auf die Bühne – leise, unhörbar. Verstärkt wird diese Bedrohung durch die dramatisch „Filmmusik“, die Hanspeter Horner aus Schnittke-Kompositionen zu einer dramatischen Filmmusik zusammengeschnitten hat. Die Welle verebbt, ihr entsteigt die Yukie Koji in einem Business-Kostüm und TEPCO-Bluse. Sie arrangiert die Schaumstoff-Beine säuberlich nach Größe geordnet und verkündet: „Alles unter Kontrolle“. Dabei tickt der Geigerzähler im entnervenden Rhythmus.
Freilich geht es Horner und Koji nicht um eine Illustration der Katastrophe, wie es der Anfang suggeriert, sondern um den Umgang mit der Katastrophe in den Medien. Denn aus Japan, so fanden die beiden heraus, sind zu Fukushima keine Informationen zu erhalten. Lediglich ein paar couragierte Journalisten versuchten – meist unter Verlust ihres Arbeitsplatzes – Fakten und Zusammenhänge zu publizieren.
Mit Auszügen aus diesen Reportagen hat Horner eine Videodokumentation gedreht, die auf einer fragmentierten Projektionsfläche (Bühne: Meisei Koji) erscheint. In diesem Video werden die Zusammenhänge von der Atombombe auf Hiroshima und Nagasaki 1945 über die Fukushima-Nuklearkatastrophe bis zu den Olympischen Spielen in Tokio 2020 thematisiert. Während Yukie Koji als Reporterin im Schutzanzug mit Maske auf dem Video zu sehen ist, agiert sie auf der Bühne als PR-Sprecherin des Atomkraftunternehmens, die – zunehmend verzweifelt – im Strudel der Horror-Meldungen zwischen den Gebeinen einen Ausweg sucht, um schließlich immer wieder mit breiten Grinsen zu beteuern: „Alles unter Kontrolle".
„’T’ wie Tsunami“ ist sehr gut recherchiertes politisches Theater im besten Sinn. Zur konkreten Sprache haben Koji und Horner einen Subtext mit Tanz und Bewegung eingebaut. Sehr sorgfältig ist der Einsatz der Sprache auf japanisch und deutsch dosiert und lenkt nicht von den Aktionen der ungeheuer präsenten japanischen Tänzerin ab. Das Team scheut aber auch nicht starke Bilder, etwa wenn sich Koji am Ende als Hure des Tepco-Konzerns im schwarz-roten Korsett unter den Gliedmaßen wälzt. Drastische und eindeutige Aussagen angesichts einer (Medien-)Politik des Vertuschens.
Beim Betrachter erzeugt das Stück jedenfalls Gänsehaut und daher setzte in Bleiburg der Applaus anfangs auch nur zögernd ein, um schließlich in stading ovations zu enden. Bleibt zu hoffen, dass dieses Stück, das den politischen Anspruch, der zur Zeit - etwa in Wien - so gerne von der Tanz- und Performanceszene eingefordert wird, voll erfüllt, nicht nur in Kärnten zu sehen war.
Yukie Koji & Hanspeter Horner: „’T’ wie Tsunami“ am 15. August im Kulturni Dom Bleiburg /Pliberk