Die Saisoneröffnung im Theater an der Wien mit „Charodeyka – Die Zauberin“ von Peter Illjitsch Tschaikowski ist mit wohlwollendem Applaus aufgenommen worden. Doch als das Meisterwerk, für das der Komponist seine seit ihrer Uraufführung 1887 selten aufgeführte Oper hielt, konnte die neue Inszenierung trotz wunderbarer Stimmen und einer großartigen Chorleistung nicht überzeugen.
Als das Theaterstück „Charodeyka“ (auf deutsch: die Bezaubernde, die Zauberin) von Ippolit Wassiljewitsch Schpaschinski, ein zu seinen Lebzeiten sehr erfolgreicher , aber heute in Vergessenheit geratener russischer Dramatiker, herauskam, wollte Tschaikowski eine Oper aus dem Stoff machen. Er beauftrage den Dichter, das Stück zu einem Libretto umzuarbeiten. Die Geschichte spielt im Mittelalter und handelt von Nastasja, einer Witwe und Waise, von der niemand weiß, woher sie kommt. In ihrem Wirtshaus am Rande von Nischni-Nowgorod verschafft sie Männern und Ausgestoßenen eine Auszeit von den Alltagssorgen und wird daher von ihren Gästen liebevoll Kuma (Freundin, Kumpel) genannt. Als der Fürst Nikita Kurljatew und sein Steuereintreiber Mamyrow dem lustigen, alkoholgetränkten Treiben ein Ende setzen wollen, gerät Nikita in den Bann der Kuma, während der gestrenge Mamyrow gedemütigt wird. Doch Kuma widersteht dem heftigen Drängen Nikitas, denn sie liebt dessen Sohn Juri. Der wiederum erfährt von seiner Mutter, der Fürstin, und dem rachsüchtigen Mamyrow von den Abwegen des Vaters und beschließt, Kuma umzubringen. Doch als sie ihm ihre Unschuld und ihre Liebe zu ihm beteuert, verliebt er sich ebenfalls in sie. Die beiden beschließen zu fliehen. Doch an ihrem Treffpunkt zur Flucht findet sich auch die Fürstin ein, die Kuma einen tödlichen Gifttrank verabreicht, worauf sie von ihrem Sohn verstoßen wird. In rasender Eifersucht tötet der Vater den Sohn und verfällt danach dem Wahnsinn – während im Wald der Sturm tobt.
Starker Tobak. Tschaikowski erschuf dazu eine Musik von ungeheurer Dramatik, in der er bereits die dissonante Tonsprache des 20. Jahrhunderts vorwegnahm. Nur gelang es Schpaschinski nicht, das Libretto auf eine erträgliche Länge zu kürzen und so ist diese vieraktige Oper sehr textlastig geblieben. Das wiederum geht auf Kosten der lyrischer Arien zugunsten von rezitativartig gesungenen Dialogen.
Christof Loy hat das mittelalterliche Märchen ins Heute verlegt, das deuten zumindest die Kostüme an. Das Bühnenbild (Ausstattung: Christian Schmidt) ist eine kahle Holzvertäfelung mit einem Podest in der Mitte. Durch sparsame Requisiten und Hintergrundprospekte wird es jeweils für das Ambiente der einzelnen Akte adaptiert. Aber es bleibt ein kahler, holzverkleideter Raum und der passt so gar nicht zum Märchen der Zauberin. Im ersten Akt sollte das Volk so richtig schön feiern, aber in der kahlen Halle kommt keine richtige Partystimmung auf. Auch Asmik Grigorian in der Rolle der Nastasja/Kuma scheint das Unglück bereits vorauszuahnen und verbreitet nicht die Stimmung, die man von einer Kuma erwarten könnte. Grigorian mit ihrem sehr schönen Sopran ist vom Typ her fehlbesetzt. Sie kann die Figur nicht mit Leben erfüllen, sondern oszilliert zwischen bravem Mädchen, durchtriebener Taktikerin und mutiger Kämpferin hin und her. Überzeugend hingegen Vladislav Sulimsky als Fürst Nikita Kurljatew und ganz besonders der Bass Vladimir Ognovenko als des Fürsten intriganter Adlatus Mamyrow. Solide, wenn auch etwas farblos ist Maxim Aksenov als Prinz Juri. Agnes Zwierkos Mezzo ist der Dramatik ihrer Partie als Fürstin hervorragend gewachsen. Leider erweist sich der Kostümwechsel, vom Negligé bis zum bodenlangen Pelzmantel, den sie mehrmals ausführen muss, als ablenkend.
In dieser Inszenierung wirken die Charaktere wie Romanfiguren und nicht wie real handelnde Personen, ganz besonders die neurotische Kammerfrau der Fürstin (Hanna Schwarz) und der Zauberer Kudma (Martin Winkler), aber auch die Tänzergruppe, die im Conchita-Travestie-Stil ihren Einsatz mit einem derben Tänzchen hat (Choreografie: Thomas Wilhelm). Bei dieser reliefartig flachen Rollenentwicklung schlägt freilich jede von der Inszenierung versuchte Psychologisierung fehl.
Großartig an diesem Abend war vor allem der Arnold Schönberg Chor unter der Leitung von Erwin Ortner, dem in dieser Oper eine wichtige Rolle zukommt. Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien wurde von Mikhail Tatarnikov geleitet, der in seiner Stabführung zeitweise dramatische Katharsis mit übertriebener Lautstärke verdeutlichen wollte.
Insgesamt konnte das Team dieser Produktion nicht davon überzeugen, dass dieses Werk ein verkanntes Meisterstück sei. Dass es so selten auf den Bühne zu sehen ist, liegt sicher nicht nur an der aufwändigen Besetzung, die seine Umsetzung erfordert.
„Charodeyka“ am 16. September 2014 (Premiere am 14. September) im Theater an der Wien. Weitere Vorstellungen: 19., 21., 23. Und 26. September