Drei divergierende Themen sind es, allesamt zeitlos und allgegenwärtig, die gegen Ende des steirischen herbst 2014 performativ in Angriff genommen wurden. Die Produktionen der Compagnie Barokthegreat aus Italien, der US-amerikanischen Performerin Ann Liv Young sowie des französischen Tänzers und Choreographen Boris Charmatz wurden mit Vorschusslorbeeren rekordverdächtig gepriesen – und doch hat keine von ihnen das Angekündigte und Behandelte wirklich überzeugend in den Griff bekommen.
Barokthegreat, 2008 als Companie gegründet und vor allem in ihrer Heimat jedem Interessierten bekannt, wurde hierorts zusätzlich vielversprechend angekündigt als „eine der packendsten Gruppen einer jungen italienischen Tanz- und Performance-Szene“. In ihrer Produktion „Victory Smoke“ werden Täter und Opfer als zwischenmenschliche Beziehung wie auch als Konstellation für sich als Thema im Umfeld von Angriff und Flucht, Angst und Freude etc. umkreist; durch Bewegung, Musik, Licht und Installation im Raum; auf einer temporalen Ebene wie einer fiktionalen in Kontrast zum Realen. Klingt kompliziert und ist es auch. Überfordert daher nicht nur die KünstlerInnen, sondern erreicht im versuchten Andeuten auch kaum das Publikum, das weder in den Sog einer dramatischen Spannung gerät noch erzählende Momente ausmachen kann. Wahrzunehmen sind einige dichte Einzelbilder. Bipolarität sowohl bei Licht und Ton bzw. Musik wie auch in der Bewegung – Staccato wie auch Regungslosigkeit - werden verwendet, ebenso unterschiedliche Raumnutzung, um das Forschungsterrain zu erkunden und manchmal damit aufhorchen zu lassen. Allein, es bedarf großer Assoziationsfreudigkeit, um etwa das Thema des Wartens oder des Siegens, der Aktion und Reaktion in kreativ-bereichernder Form zu erleben – dies gilt sowohl für die Bewegung als solche wie auch für die als interdisziplinär intendierte und angelegte Arbeit insgesamt.
Ann Liv Young, US-amerikanische Performerin, Choreografin und Kreativdirektorin, die, seit 2011 im steirischen herbst zu Gast, ist in der Zwischenzeit als internationaler Star für Überraschendes immer und überall gut. Zwischenmenschliches in der Maximalbeanspruchung des engmaschigen Familiengeflechts ist es, was in der klassischen Tragödie „Elektra“ präsentiert wird, eine der möglichen, eine aufgefächerte Interpretation erfährt. Liv Young bietet in ihrer gleichnamigen Uraufführung eine - wenig überraschend respektive zu erwarten - völlig andere Version: vor allem eine perspektivisch eingeschränkte, eine nahezu ausnahmslos auf die Person Elektra gerichtete. Auf eine Elektra, die, aus gegebenen Zusammenhängen gerissene, ihre zutiefst innerliche Spaltung und Zerstörung, ihre Auflehnung und die Bandbreite hemmungsloser Gefühlswelten aus sich herausbrechen lässt, sie ausbreitet. Und doch wieder nur in einem Raum, der ihr neuerlich Grenzen auferlegt und in dem Spuren von Abgelehntem in Form eines Ferkels unvorhersehbare, unentrinnbare Kreise ziehen. Die Intensität des schonungslosen Sich-Preisgebens – den eigenen Gefühlen und Ausdrucksbedürfnissen wie dem Publikum gegenüber - entbehrt nicht der Authentizität. Was aber fehlt neben Selbstentblößung jegliche Art und Deutlichkeit, neben Aufzeigen von Schrillem in Variationen und Trashigem bis zum Exzess, ist eine breite Palette anderer Aktions- und Reaktionsmöglichkeiten im Emotionalen wie Mentalen. Derart reduziert verlieren die Spannungsbögen der Wiederholungen immer schneller und immer deutlicher an Kraft, laufen sich tot. Die abschließende Körper-Installation ist es , die als dramatisches Konzentrat in seiner Ruhe dann doch noch eine Art von Betroffenheit evoziert, nicht zuletzt im Kontrast zu dem, was unmittelbar danach als Realität in Form banalster Konsumwelt das Publikum problemlos in seinen gelebten/geliebten Alltag verführt bzw. entlässt.
Der französische Choreograf und Tänzer Boris Charmatz wird als Kreator des Tanzes wie auch Auflöser aller seiner Grenzen weltweit herumgereicht wird. Immer wieder setzt er sich analytisch mit fundamentalen Themen des Lebens auseinander und gibt dabei den spezifischen Formulierungsmöglichkeiten des Tanzes nicht nur Raum, sondern vergrößert ihn. Das alles weckte hohe Erwartungen auch bei seiner choreografischen Umsetzung des fundamentalen Inhalts von „manger“. Nich zuletzt erwartete man sich auch eine kreative Anbindung an das herbst-Thema „I prefer not to … share“. Dieses war durch die Fülle seiner Auslegungsmöglichkeiten zwar in „allen“ gezeigten Produktionen vorhanden: Sei es durch die Bewusstmachung von Phänomenen des intendierten Vergessens, also Nicht-Teilen-Wollens in einem philosophischen Sinne (etwa in „Der eindimensionale Mensch wird 50. Ein Konzert-Theater“) oder durch die Erfahrung als „ Einzelperson“ einen/seinen ureigenen Plot zu kreieren und zu erleben („An Elegy to the Medium of Film“).
Im Falle von „manger“ freute man sich auf Unmittelbareres zum General-Thema respektive seine individuelle Deutung. Nun, gegessen wurde ohne Unterlass: O-Platten in, wie es anfangs erschien, kaum zu bewältigender Menge waren am Ende bis auf ein paar Mini-Krümel tatsächlich zerbissen, zerkaut, geschluckt – und auch wieder hinausgewürgt - Vertilgungsvorgänge, die im Stehen, Gehen und vor allem im Liegen in verschiedensten Ausformungen und Bewegungskombinationen passierten. Zumeist allein, miteinander großteils in negativer Weise, indem um das Gut gekämpft und gerungen wurde. Aber – und das war’s dann auch schon, eine lange Stunde lang. Das heißt, die Idee der grenzenlosen Gier erstreckte sich auch noch auf den den Essvorgang umgebenden Körper, den eigenen und fremden. Der Rezipientenwille, Symbole oder dergleichen zu suchen, zu deuten, Assoziationsketten zu entwickeln, verlief sich nach anfangs größter Bereitwilligkeit in den Schleifen der Essvorgänge und damit verbundenen Lauten und/oder im verbalen Loup, dass alles Sch… sei. Als solche würde ich das hier Erlebte nicht bezeichnen, aber der Hunger nach dem, was aus diesem Thema und dem Können einzelner hätte gemacht werden können, der blieb.
steirischer herbst 2014: Barokthegreat „Victory Smoke“ am 12. Oktober im Mumuth, Ann Liv Young: „Elektra“ am 16. Oktober im Dom im Berg, Boris Charmatz „manger“ am 17. Oktober in der Helmut List Halle, Thomas Ebermann / Kristof Schreuf / Andreas Spechtl / Robert Stadlober: „Der eindimensionale Mensch wird 50“ am 9. Oktober im Volkskundemuseum, Lundahl & Seitl: „An Elegy to the Medium of Film“ am 13. Oktober im Schauspielhaus Graz