Choreograf MacMillan lässt in seinem Ballett „Mayerling“ rund um die Familie Habsburg den gesamten Wiener Hof samt der fröhlichen Gesellschaft in einer „berüchtigten Taverne“ auftreten. Ein guter Grund für Ballettdirektor Manuel Legris zahlreiche Rollen immer wieder neu zu besetzen. Nach Roman Lazik in der ersten Vorstellung der kurzen Serie, war am 4. Dezember Kirill Kourlaev zum ersten Mal als Kronprinz Rudolf zu sehen.
Mit ihm in den Tod tanzte (nach Irina Tsymbal in der ersten Vorstellung) Maria Yakovleva, die ebenfalls bereits 2008 als Mary Vetsera überzeugen konnte. Dass Kirill Kourlaev mit den Stimmungsschwankungen und dem aufkeimenden Wahnsinn des Kronprinzen bestens zurecht kommen würde, war zu ahnen. Aber auch die andere Seite Rudolfs, den nach der Anerkennung durch den Vater, der warmen Liebe der Mutter hungernden Sohn und den fröhlichen, weder an Politik noch an die unglückliche Ehe denkenden jungen Mann in den Armen der lockeren Mizzi Casper, konnte Kourlaev überzeugend tanzen. Facettenreich!
Kraftvoll bewältigte er die schwierigen Schrittfolgen und zeigte mit jedem der Pas de deux mit den unterschiedlichen Frauen ein immer neues Gesicht. Mitleid erregend mit seiner Mutter Elisabeth (Dagmar Kronberger), locker und entspannt, mit Mizzi Caspar, ein begeisterndes Debüt von Prisca Zeisel. Sie zeigte eine diskrete, nahezu noble Mätresse, die genau weiß, wo ihr Platz ist und alles tut, um den traurigen Thronfolger aufzuheitern. Librettist Gillian Freeman lässt Mizzi am Ende der Szene zur Verräterin werden, was das historische Vorbild niemals getan hätte. Die reale Mizzi Caspar hat auch nach Rudolfs Tod nie ein Wort über ihn verraten. Na ja, so genau dürfen wir es nicht nehmen, schließlich hat die ehemalige Hofschauspielerin Katharina Schratt, Franz Josefs Herzensfreundin, auch nicht öffentlich gesungen und muss es im Ballett dennoch tun. Entbehrlich.
Eszter Ledán wird bei ihrem Debüt als Kornprinzessin Stephanie vom eben angetrauten Gemahl nicht gut behandelt. Kourlaev kennt keine Gnade, wie einen ekligen Gegenstand schleudert er sie zu Boden, erfüllt mit Widerwillen und gewalttätig seine eheliche Pflicht. Ganz fügsam gibt Ledán diese Stephanie aber nicht. Sie wehrt sich so gut es die Choreografie erlaubt. Stark.
Alle Sympathien kann Ioanna Avraam als abgelegte Geliebte, Marie Gräfin Larisch, gewinnen. Differenziert zwischen Machtstreben und nie versiegender Liebe, schwer getroffen, wenn Rudolf sie von sich stößt, gefühlvoll, wenn sie sich ihm – unter seinem Zusammenbruch mitleidend – dennoch wieder zuwendet. Anrührend gelingt es Kourlaev diese Auflösung, die quälende Heroinsucht und die Todesgedanken klar zu machen. Da tanzt tatsächlich ein Mann neben sich. Zwei große, überaus schwierige Pas de deux hat er mit Maria Yakovleva als Mary Vetsera zu bewältigen. Ist er bei der ersten intimen Begegnung noch fordernd, frivol, so ist es beim letzten Treffen sie, die ihn lenkt und versucht dem Leben wieder zuzuwenden. Yakovlevas Vetsera ist anfangs berechnend und überspannt, ganz auf eine mögliche Karriere als Geliebte des Kronprinzen eingestellt, später jedoch strömt sie über vor Liebe und Zärtlichkeit, will Rudolf um jeden Preis retten, selbst wenn das heißt, mit ihm in den Tod zu gehen. Fatal!
Diese zweite Vorstellung mit Kourlaev und Yakovleva und den anderen genannten fabelhaften Damen war eine Matinee. Am Abend war die festliche Verabschiedung von Gregor Hatala in der Rolle des Rudolf angesetzt. Dirigent und Orchester, das Corps de ballet und auch SolistInnen (Kronberger, Eno Peçi als Elisabeths Geliebter, Thomas Mayerhofer als würdiger Kaiser Franz Joseph, die Hälfte der schneidigen ungarischen Offiziere: Marcin Tempc und Alexis Forabosco) hatten kaum den Schweiß von der Stirn gewischt, schon mussten sie sich für die Abendvorstellung rüsten. Bewundernswert.
War der Applaus in der Matinee für Kourlaev und das gesamte Ensemble heftig und begeistert, so bedankte sich das Publikum mit einer wahren Orgie an Klatschen, Hochrufen und Blumengebinden bei Gregor Hatala für die vielen Rollen, mit welchen er dem Wiener Ballettpublikum mehr als 20 Jahre lang Freude bereitet hat. Hatala weiß genau wer er als Rudolf ist und wie er die Rolle zu tanzen und zu spielen ist. Nach dem Gaststar der Wiener Premiere 2008 hat er die Rolle für das Repertoire kreiert. In seiner letzten Vorstellung erlaubte er sich einige kleine Freiheiten, doch MacMillans Absicht, Emotionen durch die Körpersprache auszudrücken, hat er überzeugend erfüllt. Beeindruckend.
Ihm zur Seite feierte Nina Poláková als Mary Vetsera ihr Debüt, kein schwärmerischer Teenager sondern eine junge Frau, die eine Chance ergreift und sich in dieses wirre Bündel Mensch, das sich ihr vor die Füße wirft, tatsächlich verliebt. Noch zwei Rollendebüts glänzten in dieser letzten Vorstellung des durch MacMillans Erzählfreude langen und die Menge der auftretenden Personen auch etwas verwirrenden Balletts für diese Saison: Natascha Mair als unbedarfte, hilflose Frischangetraute, Stephanie und der quirlige Richard Szabó in der komischen Einlage des Leibfiakers Bratfisch. Sonderapplaus!
Zwei Schüsse, zwei Tote, zum Epilog noch mal das Begräbnis, nun wissen wir, in dem schmucklosen Sarg der in der verregneten Nacht ohne Trauergäste in die Grube gesenkt wird, liegt – Mary Vetsera. Der Vorhang fällt, doch das Publikum kann sich kaum aus seiner Erstarrung lösen. Nur zögernd beginnt der Applaus, um sich allmählich in ein Donnern und Tosen für den scheidenden ehemaligen Ersten Solisten des Ballettensembles der Wiener Staatsoper zu steigern. Stürmisch!
„Mayerling“, Ballett von Kenneth MacMillan, Musik von Franz Liszt, arrangiert und orchestriert von John Lanchbery.
Vorstellungen gesehen am 7. Dezember 2014, Staatsoper: Matinee mit Kirill Kourlaev und Maria Yakovleva; Abendvorstellung mit Gregor Hatala und Nina Poláková. Die Abschiedsvorstellung für Hatala war auch die letzte Vorstellung von „Mayerling“ in der Saison 2014/15.