Von der Finanzkrise unbeeindruckt, läuft der Spielbetrieb am Wiener Burgtheater weiter und geht - rein dramenliterarisch betrachtet - ins Jahr 1843 zurück: Friedrich Hebbels „Maria Magdalena“ wird in der Inszenierung des deutschen Regisseurs Michael Thalheimer seziert, in seine essentiellsten Teile zerlegt, mit elektronischen Sounds (Bert Wrede) verdichtet und in einen überdimensionalen schwarzen Sarg (Olaf Altmann) auf die Bühne gesetzt. Was - rein inszenierungstechnisch gesehen - durchaus gelingt.
Der bereits oftmalig für seine Regien ausgezeichnete Michael Thalheimer widmet sich einmal mehr einer starken Frauenfigur in auswegloser Situation, zuletzt inszenierte er am Burgtheater „Elektra“ von Hugo von Hofmannsthal. Reduzierte, kühle Darstellung gehört zu seinen Spezialitäten. Die Charaktere sind auf ihre Essenz und ihre bestimmenden Eigenschaften festgefroren, was sich in ihren sich wiederholenden Gesten und Marotten manifestiert. Die Handlung ist ganz auf die, die Dramaturgie bestimmenden Momente, verdichtet. Jede Figur bleibt einsam und steht ganz allein für sich selbst. Die Dialoge werden nicht miteinander geführt, sondern frontal zum Publikum. Auch die Sprache wird rhythmisiert ausgestoßen. Wenn die Charaktere dem bedrohlichen Druck der umklammernden Moral entkommen wollen, dann tun sie das, indem ihre Stimme aus den Fugen gerät und ihr, sonst sehr enges, Korsett sprengt. Dann schreien sie, dann kippt die Stimme, dann verlieren sie die sonst verzweifelt gewahrte Fasson.
Auch das Bühnenbild kippt und die Welt der kleinbürgerlichen Moral verrutscht, als Klaras Bruder Karl (Sarah Viktoria Frick und Tino Hillebrand) – wie sich später herausstellt zu unrecht - des Diebstahls bezichtigt wird. Klaras Mutter (Regina Fritsch), schon zu Beginn als wächserne Leiche geschminkt und im Hochzeitskleid wie fürs Grab geschmückt, verstirbt vor Schande. Der Vater, Tischlermeister Anton (Tilo Nest), setzt seine moralischen Erwartungen nun in die Tochter und droht, sich aus dem Leben zu verabschieden, sollte auch sie ihn enttäuschen. Nun ja, diese trägt aber bereits ein Kind ihres Verlobten im Leib, der sich aus dem Staub macht, als der Ruf der Familie ruiniert zu sein scheint und auch keine Mitgift zu erwarten ist. Und dann ist da noch der frühere Geliebte von Klara, der sie angeblich liebt und rächen möchte, aber nicht darüber hinwegsehen kann, dass sie entehrt ist. In Hebbels „Maria Magdalena“ wirft sich die „gefallene“ junge Frau vor Verzweiflung in den Brunnen und stirbt, der Vater spricht die berühmten Worte: „Ich verstehe die Welt nicht mehr“.
Angesichts einer Thematik, die denkbar schwer in die Gegenwart zu transportieren ist, und einer Regie, die enge formale Kriterien setzt, arbeiten sich auch die vielschichtigsten, wandelbarsten Schauspieler und Schauspielerinnen, wie sie dieses Ensemble bietet, an der Materie ab. Eine heutige, sinnvolle Deutung lässt sich jedenfalls schwer daraus generieren und außer einer ästhetisch gelungenen Inszenierung bleibt zumeist emotionale Distanz zum Geschehen auf der Bühne.
„Maria Magdalena“ von Friedrich Hebbel, Regie: Michael Thalheimer, 26.2.2014, nächste Vorstellungen im März: 1.3, 7.3., 13.3., 27. + 28.3. www.burgtheater.at