Die Nachfolgerin Jochen Ulrichs als Ballettchefin des Linzer Landestheaters, Mei Hong Lin, hat ihr neues Publikum und damit ihren Platz im Kulturgeschehen der Stadt erobert. Mit offenen Armen wurde ihre Choreografie von Carl Orffs „szenischer Kantate“, Carmina Burana, aufgenommen und mit tosendem Applaus bedankt. Ensemble, Orchester und der Dirigent Ingo Ingensand wurden zu recht bejubelt.
Unaufhörlich dreht sich das Schicksalsrad. Ganz im Sinne des Komponisten hat die in Taiwan aufgewachsene Choreografin Mei Hong Lin dessen monumentales Chorwerk inszeniert. Hat doch Orff in die Partitur der „Carmina“ die Bemerkung „mit magischen Bildern“ geschrieben. Die Uraufführung 1937 in der Oper Frankfurt klappte dann nicht so, wie er sich vorgestellt hatte, Orchester, Chor und Ballett fanden keinen gemeinsamen Zugang. So ist das Werk eher durch konzertante Aufführungen (und durch Werbejingles, die daraus zitieren) bekannt geworden. Als Ballettdirektorin in Darmstadt hat Mei Hong Lin bereits 2008 ein allgemein gelobtes spartenübergreifendes „Carmina“-Projekt von Musik- und Tanztheater realisiert. Mit der Bearbeitung der opulenten Choreografie für das wesentlich größere Linzer Musiktheater hat die neue Ballettdirektorin gezeigt, dass sie sich auch auf der großen Bühne wohl fühlt. Tatsächlich magische Bilder (Bühne: Dirk Hofacker), ein bestens konditioniertes Ensemble, ein beweglicher Chor (des Landesstheaters, aufgestockt durch einen Extrachor und den Kinder und Jugendchor des Landestheater), die GesangssolistInnen (Mari Moriya, Sopran, Matthäus Schmidlechner, Tenor; Seho Chang, Bariton) und das Bruckner Orchester Linz verschmolzen zu einer Einheit, in der alle Elemente gleichrangig miteinander agieren. Ingensand, Resident Conductor des Bruckner Orchester dirigierte mit Bedacht ohne nach Effekten zu haschen. Auch die sattsam bekannten Takte blieben transparent, verkamen nicht zum Gassenhauer.
Lin projiziert die mittelalterlichen Lieder aus Benediktbeuern in die Gegenwart, hält sich aber an Inhalt und szenischen Ablauf der von Orff ausgewählten weltlichen Lieder. Die Wechselhaftigkeit des Schicksals und die Flüchtigkeit des Glücks, der Liebesfrühling und sein Ende werden besungen; Fraß und Völlerei, Wollust und Schamlosigkeit werden mit oft recht obszönen Worten an den Pranger gestellt. Fortuna, getanzt und dargestellt von Julio Andrés Escudero (aus Darmstadt nach Linz engagiert) ist Puppenspieler, Zauberer, Zirkusdirektor, Verführer, Rockstar, Talkmaster und dreht gekonnt das Hamsterrad, in dem die Menschlein laufen. Ganz wenige Pas de deux und minimale Solos setzt Lin ein, in den sieben Szenen ist nahezu immer das gesamte Ensemble (neun Paare) auf der Bühne und wuselt oft in atemberaubender Geschwindigkeit dem Tod entgegen. Wird, wie in der Hochzeitsszene in weißen Tutus und ebensolchen Anzügen (Kostüme: Bjanka Ursulov), auf das klassische Ballett rekurriert, so geschieht das eher mit ironischem Blick. Lins Tanzsprache ist emotional und akrobatisch und sie scheut sich nicht, allerlei Requisiten einzusetzen. Auch der Chor muss, wie Sopran, Tenor und Barion, mitspielen, ist ständig in Bewegung, singt von den Seitenrängen ebenso wie durch ein schmales Fenster von der Hinterbühne und ist integrierter Bestandteil des großen Theaters.
O Fortuna, wie der Mond so veränderlich. Der Vergleich der Schicksalsgöttin mit dem Mond eröffnet die „weltlichen Gesänge“, so ist es nur verständlich, dass das wandelbare Gestirn stetig über dem Menschengewimmel schwebt. In je nach Gemütslage der Agierenden wechselndem Farbenspiel, sendet der Mond auch immer wieder neue magische Bilder (Visual-Design: Valentin Huber), die das Geschehen auf der Bühne unterstreichen, ergänzen oder auch spöttisch kontrieren.
Fortuna streut Rosen und lädt zur Talkshow, öffnet die Toiletten für die Lüstlinge, verführt die Geltungssüchtigen zum Gefühlsexhibitionismus und dreht ungerührt weiter am Schicksalsrad. Das Ende dieser witzigen, bunten, mitunter auch ganz stillen Choreografie verweist auf den Anfang. Leben und Tod geben einander die Hand. Der Kreislauf ist geschlossen.
„Carmina Burana“ Tanzstück von Mei Hong Lin zur Musik von Carl Orff. Premiere am 1. März 2014 im Musiktheater Volksgarten. Weitere Vorstellungen, die noch nicht ausverkauft sind: 29.4., 1.,3., 9., 26.4. 2014.