Es war ein kompaktes, sehr physisches, extrem bewegungsbetontes Festival, und das tänzerische Niveau war sehr hoch. Aufregender Tanz kreiert entweder seine eigene Geschichte wie bei „Roses einsam.gemeinsam“ oder „Wild Things“, wo auch die Musik jeweils von den PerformerInnen stammte. Oder die physischen Aktionen stehen im Dienste eines Narrativs, als emotionale, kreative und inhaltliche Verstärker, zum Beispiel in „Trashedy“ oder „Ente, Tod und Tulpe“.
Unter dem Motto „Das Mee(h)r in mir“ wurde auf der Bühne zuweilen auch sehr heftig geplantscht und das Element Wasser wurde bei den Stücken, die sich an die Jüngsten wendeten, ausgiebig gefeiert. In der Dschungel-Produktion „Mein kleines Meer“ setzen sich die drei TänzerInnen Steffi Jöris, Maartje Pasman und Rino Indiono sehr spielerisch mit dem Thema auseinander (altersgerecht choreografiert von Paola Aguilera). Die drei begeben sich auf eine Reise ans Meer, personifizieren dort Fische, U-Boote oder Taucher. Aber auch Waschlappen, Regenschirme und Gummistiefel kommen zum Einsatz und die vier (hier: drei) kleinen Schwäne (aus „Schwanensee“) werden zitiert. Perfekt dazu die Ausstattung und die wandelbaren Kostüme von Vanessa Achille-Broutin. Aus einer Eimerpyramide wird ein vergnügliches Wasserspiel und am Ende wird das nasse Element von den sympathischen TänzerInnen hautnah zelebriert: Da wird gespritzt und gespuckt und auf dem nassen Boden gerutscht, dass auch die ZuschauerInnen ab 2 ihre jauchzende Freude daran haben.
Sehr nass ging es auch bei „Ente, Tod und Tulpe“ zu, lebt doch die Ente in einem Teich, dem der Tod nicht gar so viel abgewinnen kann. Die großartige Produktion des Jungen Schauspielhauses Düsseldorf entstand auf Grundlage des gleichnamigen Buches des vielfach preisgekrönten Bilderbuchautors und Illustrators Wolf Erlbruch. Franziska Henschel hat die Begegnung zwischen der Ente und dem Tod sehr berührend als Mini-Musical inszeniert. Die Freundschaft zwischen den beiden ist behutsam und intelligent dargestellt, strahlt tröstende Wärme aus und räumt mit so manchen Mythen wie Himmel und Hölle auf. Taner Sahintürk als Ente reißt das Publikum mit seiner zitternden Angst, seiner überbordenden Freude und seinem jubelnden Temperament und seinem Mundharmonikaspiel von Anfang an mit, Elena Schmidt ist ein wunderbar verhaltener Tod und zwischen den beiden verhält sich Moritz Löwe als Tulpe (die das Leben symbolisiert) ziemlich neutral. Für das nasse Ambiente (der Teich in der Mitte der Bühne tritt sehr bald über die Ufer) hat Johanna Fritz Kostüme erfunden, die nicht nur rutschfest sind sondern mit überlangen Ärmeln das Wasser in weiten Bögen durch den Raum schleudern. Zu Beginn und zu Ende machen die Schauspieler mit einer Ansage klar, dass es sich hier um eine Geschichte handelt. Auch wenn die sympathische Ente stirbt, wird auf diese Art der Begegnung mit dem Tod – hier ein Begleiter des Lebens – sehr kindgerecht (ab 5) der Schrecken genommen ohne ihn zu verharmlosen.
Die Perspektive der Kinder bringt „Die Jury“ aus Norwegen hinreißend zum Ausdruck. Zwei Tänzerinnen versuchen die Anregungen der Kinder, die das Geschehen auf einer Leinwand auf der Bühnenrückwand kommentieren, in Szene zu setzen. Denn mit dem Tanz, den sie gerade gesehen haben, sind sie nicht zufrieden, finden ihn fad und vor allem nichts für Kinder. Die Buben wünschen sich einen Kampf zwischen Monstern mit Laserschwertern und Tarnkappen, die Mädchen schlagen einen Streit zwischen zwei Freundinnen vor, bei der eine stirbt –, aber es ist alles nicht so schlimm, sie steht wieder auf und happy end. Es werden Farben, Lächeln und Bilder eingefordert und nachdem das mit der Handlung nicht so gut klappt, beschließen die Kinder eine Liste mit 10 Punkten zu machen, die die Tänzerinnen (sehr gut: Maria Freyvoll und Caisa Strommen Rostad) tanzen sollen. Hege Haagenrud hat dafür eine sehr vielseitige choreografische Sprache entwickelt und zusammen mit Vibeke Heide die ausdrucksvollen Gesichter der Kinder in einem amüsanten Video verewigt.
Auch „Rau“ von Kabinet K (Joke Laureyns und Kwint Menshoven) aus Belgien ist angeblich aus der „Perspektive des Kindes“ (für Kinder ab 8) konzipiert. Wenn die mitwirkenden Kinder anfangs immer wieder in und durch den Raum rennen, Steine sammeln und zusammenbauen, dann wird ihre Vitalität auch so richtig spürbar. Bis zu dem Moment, wo sich zwei Erwachsene ins Geschehen einmischen. Dann kippt die Energie und das Stück wird zu einer Art Nummernabfolge in trashiger Umgebung (mit Blechcontainer, Fetzenvorhängen, Camping-Gaskocher etc.). So begegnet beispielsweise die ältere Frau den Kindern bei ihrem ersten Auftritt in abweisender Haltung. Diese gibt sie dann auf, aber man weiß auch nicht, was sie anfangs dazu getrieben hat. Viele Dinge werden angerissen, aber nicht weitergeführt – wie bei einem Workshop-Showing, das sich bereits zur Halbzeit in die Länge zu ziehen begann.
Sehr überlegt und zielgerichtet ist hingegen das mit dem Westwind-Preis ausgezeichnete „TRASHedy“ der Performing Group in einer Koproduktion mit dem Tanzhaus NRW. Leandro Kees und Daniel Mathéus zeigen mit Pantomime, Tanz und Videoanimationen eine komplexe Welt auf, auf dessen Probleme es keine einfachen Antworten gibt. Dabei agieren sie nicht schulmeisterlich belehrend, sondern werfen sehr humorvoll und mitreißend Fragen nach der eigenen Verantwortung in einer aus den Fugen geratenen Konsumgesellschaft auf. Hervorragend, um Kinder ab 10 das Ausmaß der „ökologischen Intelligenz“ bzw. deren Verlust näher zu bringen!
Eine Stunde Nachsitzen in der Schule bildet den Rahmen für die ausgelassene Musik- und Tanzshow „Wild Thing“ des MAAS theater en dans aus Rotterdam. Die fünf Tänzerinnen und die Musikerin agieren dabei so authentisch, dass man sie für echte Schülerinnen halten kann. Aber sie sind Profis und ihre Show ist dementsprechend perfekt umgesetzt. Die jungen Mädchen toben wild durch die Gegend, führen einen Affentanz auf, aus dem heraus eine American-Football-Formation entsteht, dann überraschen sie mit Kunstfertigkeiten mit einem Ball oder einem Stab, und halten die ZuschauerInnen mit wunderbaren Tanzsolos und pulsierenden Rhythmen in Schach. Energie pur! Die Antwort auf die logische Frage meiner sechsjährigen Begleiterin, warum es denn in dieser Schule keine Lehrerin gäbe, blieben sie freilich schuldig.
Für Jugendliche ab 14 gab es zwei Angebote: Die bereits im Sommer uraufgeführten, hinreißend gespielten und getanzten „Love Songs“ in der Choreografie und Regie von Ives Thuwis wurden wieder aufgenommen.
Und mit der Abschlussproduktion des Festivals stand mit „Roses einsam.gemeinsam“ eine Ko-Produktion von Szene Bunte Wähne mit den Theater Strahl aus Berlin und De Dansers aus Utrecht auf dem Programm. Großartige TänzerInnen zeigten hier ein Best off des Gegenwartstanzes basierend auf Release Arbeit, Contact Improvisation und Partnering Techniken. Sie bauen Körperskulpturen, klettern darauf herum, sie fallen auf einen Haufen, richten sich auf, springen sich an, werden aufgefangen, lassen sich vertrauensvoll fallen und das alles in einem atemberaubenden Tempo und mit untrüglicher Sicherheit im risikoreichen Spiel. Eine grandiose physische Performance (die aufregende Choreografie stammt von der künstlerischen Leiterin von De Dansers Wies Merkx), die von zwei Musikern aus dem Tänzerteam begleitet wird. Nur schade, dass in der Programmankündigung eine politische Ausgangsfrage formuliert und ein Zusammenhang zur Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ gegen die Nazis hergestellt wurde. Das war nicht erkennbar und weckte falsche Erwartungen, die sich beim Zuschauen der fulminanten TänzerInnen erst nach und nach verflüchtigten.
17. Internationales Szene Bunte Wähne Festival für ein junges Publikum, 27. Februar bis 3. März im Dschungel und im WUK.