Jo Strømgren hat mit "Arsen. Ein Rokokothriller" für das Ballett des Gärtnerplatztheaters eine witzig-intelligente Komödie kreiert. Ganz im Sinne einer barocken Allegorie enthält die Geschichte, die im 18. Jahrhundert angesiedelt ist, auffallende Parallelen zum Heute. Denn unter den gepuderten Perücken und den tollen historischen Kostümen in Pastellfarben von Bregje van Balen blitzt der sarkastische Humor des norwegischen Choreografen hervor.
Fürst Maximilian III Joseph lädt wieder einmal zu einem Fest. Die Gäste kommen an, darunter eine rätselhafte Schöne, die bei ihrem Eintritt von der noblen, lustigen Gesellschaft geschnitten wird. Später werden wir erfahren, dass sie aus Ungarn kommt, "ein furchtbares Land – noch heute". Der Choreograf, Regisseur und Autor Jo Strømgen lässt die Geschichte nämlich nicht nur tänzerisch darstellen, sondern sie auch aus dem Off erzählen - und lässt der Fantasie des Zuschauers trotzdem noch genügend Raum. Die Stimme gehört Patrick Teschner, dem Ballettmeister des Ensembles. Pantomimische Szenen steigern die Überhöhung noch zusätzlich. Höfische Schreittänze mit barock-manieristischen Gesten, angetrieben von der Musik von Corelli, Albinoni, Biber und Vivaldi, vermitteln das Bild einer hedonistischen Zeit. Intrigen und Geheimniskrämereien liegen in der Luft.
Aber nicht nur das Bühnengeschehen ist ein höfisches Fest, denn schließlich sitzt auch das Publikum in einem Rokokotheater, und zwar im Cuvilliés-Theater, das jener Kurfürst Maximilian III Joseph von Bayern errichten ließ.
Strømgren pfeift auf political correctness und spart nicht mit Seitenhieben. So erledigen die Arbeit zu Hofe „billige Gastarbeiter aus dem Osten“, entführte Diplomaten, die in hündischer Haltung und Lendenschurz herumrennen und im Kellergewölbe wie Sklaven gehalten werden. Zwischendurch dienen sie auch den anwesenden Damen der feinen Gesellschaft als Lustknaben. Später taucht eine Gruppe von Schotten in Kilts auf – „der Westen ist besser“, lautet dazu der lakonische Kommentar.
Die Männer treffen sich um ihrer Lieblingsbeschäftigung nachzugehen, der „Frauenjagd“ – nicht immer treffen ihre Flinten die Damen, die sich brav den Schüssen preisgeben. Überhaupt gibt es jede Menge Tote. Am Hofe wird eine Leiche gefunden, offenbar handelt es sich um einen unnatürlichen Tod. Das Arsen ist bald gefunden, war es doch zu dieser Zeit üblich, es als Elixier für Tatkraft und Jugendlichkeit einzunehmen. Wir erfahren in einem Playback, wer der Mörder ist, denn er schlägt noch einmal zu, worauf das Chaos ausbricht und die Adeligen samt den versklavten Diplomaten ins osmanische Reich reiten. Dort werden die Rollen getauscht und es gibt ein Gemetzel, das in der nächsten Szene an der ursprünglichen Location, dem Fürstensitz, weitergeht. Dort herrschen mittlerweile dessen Erben, ein Diener-Ehepaar und der Pfarrer. Sie entledigen sich ihrer vermeintlichen Gegner mit einer Massenvergiftung. Darauf muss ein Gläschen getrunken werden, die drei besiegeln das Schicksal ihrer Opfer mit einem feierlichen Toast. Auch das Feiern gehen weiter ...
Offenbar will Ballettchef Karl Alfred Schreiner wieder richtige Geschichten auf die Tanzbühne zurückbringen. Nach seiner eigenen Arbeit "Berlin 1920" ist das nun auch Jo Strømgren glänzend und sehr unterhaltsam gelungen. Das zweiaktige Tanztheater ist rasant erzählt, die TänzerInnen sind brillant und das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz musiziert trefflich unter der temperamentvollen Leitung von Jürgen Goriup.
Auch in der nächsten Saison wird Jo Strømgren am Gärtnerplatztheater arbeiten und mit dem Ensemble sein 1997 entstandenes Fußball-Ballett „A Tribute to the Art of Football“ einstudieren (Premiere am 7. März 2015)
Staatstheater am Gärtnerplatz: "Arsen. Ein Rokokothriller", Choreografie: Jo Strømgren im Cuvilliés-Theater am 11. April 2014 (Uraufführung am 20. März 2014)