Noch während die Zuschauer eintreffen aalen sich vier Frauen und zwei Männer im fahlen Bühnenlicht, verfolgt vom unbestechlichen Auge der Kamera, die ihre träge bewegten Körper an die Wand zaubert. Die Uraufführung von „False Colored Eyes“, dem 2. Teil der Serie „Imploding Portraits Inevitable“ von Liquid Loft / Christ Haring im Casino, überzeugt durch die Macht der Bilder.
Die Kamera zeigt, was die Augen nicht sehen, die Kamera übertölpelt das Gehirn, taucht in den Schlund, verzerrt die Münder, beobachtet von einem riesigen (falsch gefärbten) Auge mit stacheligen Wimpern, Nabel, Schenkel, Haut, verdoppelt, vervielfacht, vergrößert, verzerrt, vor- und zurückgespielt. Die Kamera zeigt, was wir gar nicht sehen wollen. Und immer wieder der Blick auf die Bühne, um zu verifizieren, was wirklich geschieht. Doch was wirklich ist, lässt sich nicht herausfinden. Die realen Körper, die sich in exhibitionistischer Aktion aalen und winden, verknäueln und umarmen, sich selbst und einander kratzen und schaben, diese Körper, die sich dem Rhythmus der Musik und Geräusche anpassen, oder von Musik und Geräuschen angetrieben werden, sind ebenso Avatare, Abbilder wie die live an die Wand geworfenen Bilder. Und da sind auch noch ihre Schatten, die sich wiegen und umarmen. Dreimal Realität – nichts echt.
Selbstdarstellung, die Schönste, Beste, Bedeutendste im ganzen Land zu sein, ist das Ziel. Die PerformerInnen werden zu tanzenden Stellvertretern ihrer selbst, ausgehöhlte Narzissten, die mechanisch immer die selben Bewegungen aufführen, zermalmt in der Schraube unaufhörlicher Selbstdarstellung. Die Kamera zeigt sie vervielfacht als undefinierbare Menge. Sie gehen dort unter, wo sie herausragen wollen. Beklemmend, schauerlich, unheimlich.
Eine Tanz- und Videoperformance, die unter die Haut geht, anregt, aufregt und die Frage stellt: Gehöre ich auch dazu?
Liquid Loft / Christ Haring: „False Colored Eyes“ (Imploding Portraits Inevitable), Uraufführung am 29. April 2015, Kasino am Schwarzenbergplatz, ImPulsTanz in Kooperation mit dem Burgtheater & Liquid Loft.
Tanz & Choreografie: Luke Baio, Stephanie Cumming, Katharina Meves, Anna Maria Nowak, Arttu Palmio, Karin Pauer. Lichtdesign, Szenografie: Thomas Jelinek, Komposition, Sound: Andreas Berger, Kostüm: Julia Cepp.
Weitere Vorstellungen 5. bis 9. sowie 12. und 13. Mai 2015. Karten -->