Unter dem Titel „Les Noces – Von der hohen Zeit“ zeigt das Ballett des Landestheaters Linz, ergänzt durch Mitglieder der ISUM Dance Company aus Seoul zwei gegensätzliche Ballette zum selben Thema: Hochzeit, mitunter als schönster Tag im Leben bezeichnet. Hea-Kyung Lee, Chefin der ISUM Company choreografierte eine koreanische Geschichte in der der Tod die Hochzeit vereitelt; die Linzer Ballettchefin, Mei Hong Lin, verarbeitet Igor Strawinskys Tanzkantate „Les Noces“ zu einem Stück über eine Hochzeitsparty.
Ein Gläserner Sarg, in dem die Braut auf weißen Chrysanthemen ruht, ein von Schmerz zerrissener Bräutigam, trommelnde Geister in flatterndem Chiffon (Kostüme von Chun-Hong Min). Schön! Und eine echte Herausforderung für die TänzerInnen der Linzer Compagnie, zwei so unterschiedlich choreografierte Ballette an einem Abend zu bewältigen. Es gelingt ihnen mit Bravour. Nicht nur die Bewegungsabläufe, auch die Atemtechnik und die Begleitmusik sind ungewohnt. Keine Überraschung, dass die koreanischen (Gast-)Tänzerinnen schon im ersten Bild auffallen.
Die Geschichte, die Hea-Kyung Lee erzählt, ist historisch. Sie nennt sie „Mae“, der Vermittler. Gemeint sein kann sowohl ein Heiratsvermittler, wie eine Person, die zwischen einem Geist und den Lebenden vermittelt. Die mehrfach preisgekrönte Choreografin verbindet beide Bedeutungen miteinander, der Heiratsvermittler ist zugleich der allmächtige Schamane (Damián Cortes Alberti), der mit seinem Gefolge auftritt. Es geht um Cheoljeong (Sakher Almonem), den Nachfolger von König Heon-Jong, (Seoul, 1849), der auf seine Geliebte, Bong Hee (Andressa Miyazato), verzichten muss, um standesgemäß zu heiraten. Er stirbt an gebrochenem Herzen. Auf der Bühne sind nur noch die Seelen der Liebenden zu sehen, die zornig durch das Reich der Toten treiben. Die Schamanen schaffen einen Raum, indem die Liebenden einander noch einmal begegnen können. Die Hochzeit findet in einem anderen Leben statt.
Beeindruckend ist die eigens von Myhung-Whun Choi komponierte Musik, für die er Glockenspiel, Trommeln und kleine Schlaginstrumente einsetzt und auch dem Chor des Landestheaters Linz einiges abnötigt. Die Sopranistin Margaret Jung Kim singt ein koreanisches Lied, doch der Chor vokalisiert. Der Komponist hat sich bei seiner Ballettmusik an der Instrumentierung Strawinskys für „Les Noces“ orientiert. Die vier Klaviere Strawinskys werden durch das Klappern der idiophon gestimmten Stabspiele simuliert.
Mei Hong Lin zeigt eine wilde Hochzeitsparty, bei der nicht nur die Männer miteinander sondern auch die Frauen mit ihnen raufen. Hie und da kommt bei einem Paar Zärtlichkeit auf, doch das Fest ist ist exaltiert, ein dauerndes Hin und Her und Auf und Ab. Das Bühnenbild besteht aus zwei roten halbkreisförmigen Theken, die zu Zeichen geformt werden können, denen im Programm Bedeutungsvolles unterlegt ist. Etwa bedeutet die S-Form „Lebenswege – eine Brücke“ und der geschlossen Kreis, na klar: Symbol der Einheit. In diesen springen die Bräute und Bräutigame, Liebhaber und Geliebte hinein und wieder heraus, das Fest tobt.
Sowohl in „Mae“ als auch in „Les Noces“ sind die Frauen Leidtragende, Unterdrückte, Geplagte, dadurch auch aggressiv und hart. Durch übertriebenes Mienenspiel (Andressa Miyazato hat es zur Meisterschaft gebracht) wähnt man sie immer wieder am Rande des Wahnsinns.
Es mag das Fremde in der Musik und den Bewegungen sein, dass die Szenen, die Hea-Kyung Lee zeigt, so lange im Kopf bleiben. Die klare Ästhetik in Weiß (und wenig Schwarz) der Bilder, der Wechsel zwischen ganz vom Rhythmus der Musik diktierten rasanten und nahezu elegisch, fließenden Bewegungen wurden mit begeistertem Applaus bedacht. Dass Dennis Russel Davis und das Bruckner Orchester das Doppelspiel zwischen Korea und Russland perfekt gemeistert haben, muss eigentlich nicht besonders erwähnt werden. Myung Joo Lee, Bernadette Fodor, Pedro Velázquez Diaz und Dominik Nekel erfüllten die Gesangspartien in Strawinskys Werk.
„Les Noces – Von der hohen Zeit“, Tanztheater von Mei Hong Lin und Hea-Kyung Lee. Musik von Igor Strawinsky und Myung-Whun Choi. Premiere am 30. Mai 2015, Musiktheater Volksgarten / Landestheater Linz.
Weitere Vorstellungen: 7., 18., 20., 28. Juni 2015