Auch wenn das komödiantische Ballett bereits zu Ende des 18. Jahrhunderts uraufgeführt wurde (ursprünglich in der Choreografie von Jean Dauberval) ist „La fille mal gardée“ von Frederick Ashton aus dem Jahr 1960 zum „Klassiker“ geworden. Seine an den Volkstanz angelehnte Choreografie, die nun an der Wiener Staatsoper wieder aufgenommen wurde, besticht durch ihre Komplexität ebenso wie durch ihre Leichtigkeit.
Im Repertoire unzähliger Ballettcompagnien erzählt Ashtons Ballett vom beschaulichen Landleben, wo Konflikte mit Maß, Charme und gesundem Menschenverstand gelöst werden: Lise, einzige Tochter der reichen Bäuerin Simone, liebt den Bauernburschen Colas. Doch Witwe Simone hat eine bessere Partie im Sinn: Alain, den Sohn eines reichen Weinbauern. Der ist allerdings ein ziemlicher Kretin und kann Lise von ihrer großen Liebe keinen Moment abbringen. Nachdem der Notar schon angerückt war, um den Heiratshandel abzuschließen (die Mitgift ward bereits übergeben), wird es jedoch unübersehbar: Lise und Colas gehören zusammen. Da greift der Notar ein, zerreißt den vorher geschlossenen Vertrag, und nun kann auch die strenge Mutter nicht länger dagegen sein. Sie gibt den beiden ihren Segen und stellt sich schützend vor das Paar, als Thomas und Alain wütend abrauschen.
Ashton ist ein glänzender „storyteller“. Mit Witz und Charme entwickelt er die Geschichte und die Prototypen für die Charaktere. Witwe Simone wird en travestie von einem Mann gespielt; sein Holzschuhtanz ist ein Paradebeispiel für den Charaktertanz im klassischen Ballett. Bei der Wiener Wiederaufnahme überrascht Roman Lazik in dieser Rolle mit seinem komödiantisches Talent: Seine Darstellung der resoluten, aber ihrer listigen Tochter Lise dennoch hilflos ausgelieferten Witwe Simone ist ebenso komisch wie rührend. Auch Masayu Kimoto punktet als trotteliger Alain mit präzisem Timing. Robert Gabdullin ist ein gewitzt-sorgloser Verehrer seiner Lise, die von Liudmila Konovalova makellos getanzt wird. Ihrem Spiel war allerdings das Lampenfieber noch deutlich anzusehen; das kann noch lockerer werden.
Sehr beschwingt tanzte das Ensemble zur Musik von Ferdinand Hérold (frei bearbeitet von John Lanchbery), auch wenn die komplexen Bändertänze noch ein paar Proben vertragen könnten, um sie perfekt hinzukriegen. Doch das täuschte nicht über das positive Lebensgefühl hinweg, das die Compagnie an diesem Abend – ganz im Sinne des Choreografen – über die Rampe brachte, mit dem Hühnerballett als ein Highlight des Abends. Jubelnder Applaus für Tänzerinnen und Tänzer sowie für das Orchester unter der Leitung von Paul Connelly.
Wiener Staatsballett: „La fille mal gardée“, Wiederaufnahme am 28. November 2015 an der Wiener Staatsoper. Weiter Vorstellungen (mit wechselnder Besetzung): 9. 12., 17., 25., 26., 27., 28., 30. Dezember 2015 und 20. Jänner 2016