„Die Freiheit ist größer als die Angst!" Mit dem Nachhall der Meldungen über die Terroranschläge in Brüssel bewegte das zeitgenössische Tanzstück „Sacré Printemps!“ des französisch-tunesischen Choreographen-Paars Aïcha M’Barek & Hafiz Dhaou auf hochaktuelle und ergreifende Weise im mehrdeutigen Sinne das Publikum des diesjährigen Osterfestivals.
Dabei warf diese Choreografie aktuelle Fragen und Kontexte auf, die "zeitgenössischer" kaum sein können. Schon der Titel lies vielschichtige Querverbindungen zu: zum einen zu Strawinskys "Sacre de Printemps", zum anderen zum arabischen Frühling. Wer wird dabei das Opfer des Frühlings sein? Ein Thema, das auch ihre vorangegangene Arbeit "Kharbga – jeux de pouvoir" bestimmte.
Das Tanzstück entstand als getanzte Resonanz auf die politischen und sozialen Turbulenzen im heutigen Tunesien. Es ließ jedoch gleichzeitig viel Reflexionsraum für die eigenen Emotionen der Zuschauer zu. So tauchten Bilder von Brüssel, Istanbul, Paris, von Flüchtlingselend, Szenen auf Lampedusa, Kriegsgewalten gleichermaßen neben Alltagskämpfen im Bewusstsein der Zuschauers auf.
Jeder konnte und sollte in dem Stück seine eigene Wahrheit, Phantasie und Vorstellung wiederfinden, ähnlich dem Blick in einen Spiegel. Sowohl die Kostüme wie auch das Bühnenbild bestärkten diese Selbstprojektion, man fand sich in verschiedenen universalen Rollen wieder. Auf der Bühne waren gezeichnete Menschensilhouetten in Körpergröße "mitbeteiligt". Beide, Tanzende wie auch Gezeichnete trugen Alltagskleidung, nahmen Alltagshaltungen ein. Der Fokus der Choreographie lag dabei genau auf diesem Dialog mit dem Publikum und der Möglichkeit die eigene Emotionen auf die Tänzer zu projizieren.
Die kompositorische Gestaltung von Eric Valdéa und Ivan Chiassone bot eine breite Klangpallette von tunesischer Ethnomusik bis elektronischem Sound. Interessanterweise ist die ganze Komposition vor der Choreographie entstanden und gab damit dieser eine klare Vorgabe. Nicht nur der Titel “Sacré Printemps!“ suggerierte eine Vorstellung über „Le Sacré du printemps“ von Strawinsky (Nijinsky), sondern auch die an "L'adoration de la Terre" erinnernde repetitative Akkordfigur in der zweiten Gruppenszene. Strawinsky inspirierte die Tanzcompany, wie das Choreographenpaar mit der Kraft und der Stärke in seiner Musik. Diese an Strawinsky erinnernde musikalische Themenrepetition ließ mit Gänsehaut Bilder eines Waffensturms, einer Menschen unterdrückenden Maschinerie aufkommen und auch die Frage: Wie oft wiederholen wir dieses Schicksal noch?
Trotz der dominierenden Grupppenszenen wurde die Beziehung zwischen Individuum und Masse auf ergreifende Weise in den Soli im mittleren Teil zum Ausdruck gebracht. Die Solopassagen stellten jeweils verschiedene Konstellationen und Figuren dar: eine junge Frau, ein alter Mann, ein Paar. Letztere verkörperten im einzigen lyrischen Pas de deux des Stücks ein Aufflackern von Zweisamkeit.
Gerade in dieser Abwechslung der getanzten Außenseiter, der Opposition von Gruppe und Individuum könnte die immanente Frage „Wer ist das Opfer dieses Frühlings?“ beantwortet werden: Es gibt kein alleinstehendes Opfer. Wir sind alle betroffen und aufgefordert die Probleme gemeinsam zu lösen!?
Cie Chatha / Aïcha M’Barek & Hafiz Dhaou: "Sacré Printemps!" am 23. März im Congress Innsbruck (Dogana) im Rahmen des Osterfestival Tirol