Eine rührende Wiederaufnahme der beliebten John-Cranko-Choreographie von Prokofieffs Ballett „Romeo und Julia“ fand am 30. März 2016 beim Berliner Staatsballett statt. Star-Ballerina Polina Semionova und Jason Reilly, Solist des Stuttgarter Ballets, berauschten das Publikum durch ihre Rolleninterpretation der Hauptcharaktere und versetzten die Zuschauer in jenen Zustand des Miterlebens dieser eminenten, klassischen aber gleichzeitig allgemein gültigen Geschichte, welcher jede großartige Inszenierung kennzeichnet.
William Shakespeares Verstragödie erzählt die dramatische Liebesgeschichte zwischen Julia aus dem Hause Capulet und Romeo aus dem Hause Montague, deren Familien seit Generationen im Streit liegen. Das universelle Thema der unmöglichen, aber wahren Liebe der beiden übte als dramaturgischer Stoff große Fastination auf Dutzende Choreographen, Regisseure und Komponisten aus. John Cranko schuf 1958 ein Handlungsballett für die Mailänder Scala, die von der derzeit größten Compagnie Deutschlands, dem Staatsballett Berlin, aufgeführte Stuttgarter Version stammt aus dem Jahr 1962. Diese Adaption ist eine der meistgespielten und vielleicht gerade wegen ihres besonders direkt-narrativen Charakters so beliebt. (Diese ist auch im Repertoire der Wiener Staatsoper). Crankos tiefsinnige Charaktere übertragen die Geschichten und innigen Emotionen auf eine durch Gestik und Mimik verfeinerte Weise in Bewegung, und zeigen seine außergewöhnliche Gabe für dramaturgische Differenziertheit.
In drei Akten erzählt dieses Ballett die wohl berühmteste literarische Liebesgeschichte. Gleich zu Beginn setzt die vertanzte Auseinandersetzung zwischen den beiden rivalisierenden Geschlechtern auf dem Marktplatz von Verona, die nur durch den mächtigen Herzog unterbrochen werden kann, den Standard für das Corps de ballet, das diese und die folgenden Gruppenszenen mit spannungsvoller Ausdruckstärke und in typisch glänzender „russischer Manier“ meisterte. Polina Semionova und Jason Reilly gelingt es in ihren grazilen Pas de deux überzeugend, die psychologisch nach innen gewandte emotionale Bindung der Hauptcharaktere zu gestalten, vom ersten Zusammentreffen auf dem Ball, über die berühmte Balkonszene, die Hochzeitsnacht bis zum tragischen Ende, als sie in tödlicher Umarmung auf Ewigkeiten vereint sein werden. In einer weiteren ikonografischen Szene, in der Julia Hilfe bei Pater Lorenzo sucht, um der bevorstehenden Hochzeit mit Paris (Michael Banzhaf) zu entgehen, schien Polina Semionova in der Hebefigur förmlich zu schweben. Kostbar waren die Momente, an denen man die präsente technische Perfektion des Tanzens vergessen konnte und in magische Trunkenheit versetzt einfach die Liebe der beiden mitatmen konnte.
Dinu Tamazlacaru verdiente sich als Mercutio mit einem vitalen tänzerischen Spiel und seinem mit dem Publikum dialogisierenden Bühnenerscheinen den besonderen Applaus des Abends.
Die besonders handlungstreibende Musik Prokofieffs gab unter Nicholas Carters Dirigentenstab musikalische Hinweise auf die Unmöglichkeit dieser Liebe.
Das gelungene Bühnenbild von Thomas Mika war keine Kopie des Orginals von Jürgen Rose und schenkte der Produktion einen breiten poetischen Raum, in welchem die Liebe von Romeo und Julia sich tänzerisch entfalten kann. Die Gegenüberstellung zweier dunkler Bäume im Bühnenhintergrund verkörpert den Konflikt zwischen den beiden Geschlechtern, aber gleichzeitig zwischen zwei Generationen, ja zwei Weltanschauungssystemen.
Die Antwort auf die Frage jedoch, warum diese dramatische Liebesgeschichte seit Jahrhunderten fasziniert, findet man vielleicht in der Herz erwärmenden Schlussszene. Die Liebenden opfern das eigene Leben im Namen der Liebe, im Namen des Zusammenseins auf hochdramatische Weise. Sie sterben, um die Liebe zu leben.
Berliner Staatsballett: "Romeo und Julia", Wiederaufnahme an der Deutschen Oper Berlin am 30. März 2016. Weitere Vorstellungen am 15., 21. und 28. April, 13. und 16. Mai