Das Festival La Strada bietet mit dem Programmpunkt des französisch-finnischen Paars Victor Cathala und Kati Pikkarainen eine weitere Möglichkeit, den Facettenreichtum von Cirque Nouveau kennenzulernen: Mit „Pour le Meilleur et pour le Pire“ benennt der Titel das, was uns allen unter „In guten wie in schlechten Zeiten“ in unzähligen Variationen bekannt ist.
Die hier zu erlebenden sind in ihrer Form zwar „etwas“ anders als die alltäglichen, aber vertraut sind sie den meisten allemal. Gelingt es den beiden doch überaus fantasievoll, ihr enormes akrobatisches Können, das u.a. vom einarmigen Handstand Pikkarainens auf der Hand des in die Höhe gestreckten Arms Cathalas bis zu zahllosen Formen von mehrfachen Saltis in seine Arme und auf seinen Rücken reicht, ausnahmslos als vielschichtige Metaphern ihrer Beziehung zu- und miteinander aufzubereiten und plastisch zu präsentieren: Genauso ernst wie humorvoll, so liebevoll, ja poetisch wie verzweifelt und aggressiv.
Dass spaßige Kreativität dabei ihren stimmigen Platz hat, rund um ein altes, aber nicht minder vielseitiges, manchmal sogar „lebendiges“ Auto nämlich, das muss man, kann man nur selbst gesehen haben, so verrückt-selbstverständlich ist sein integrierter Einsatz, seine Nutzung. Beispielhaft sei die zart-leidenschaftliche Liebesszene ebendort erwähnt: diskret vom Scheinwerferlicht ausgeblendet in kritischen Augenblicken und doch unverblümt. Wozu ein normalerweise vor sich hin stinkendes Auspuffrohr auch gut sein kann, das ist hier genauso zu erfahren wie das beinharte Beenden einer Liebesbeziehung anhand von Betonklötzen, die in kaum vorstellbarer Anzahl aus dem Kofferraum gezaubert zur Grabstätte von Gefühlen mutieren.
Das Verbinden und Vorbereiten der einzelnen Szenen – etwa in Form des wegfahrenden Autos – ist immer wieder ein Überraschungsgag für sich; ob unterstützt von einem schwanzwedelnden Hund oder aber auch „nur“ von „konkreten“ Zerfallserscheinungen einzelner Autoteile.
Und wie wunderbar mehrdeutig und feinfühlig jede einzelne Szene – ob auf dem Autodach, im Kofferraum verschwindend oder auf der Strickleiter - arrangiert ist, das ist nicht nur ganz besonders beeindruckend sondern auch berührend in der letzten Szene zum Thema der (akrobatischen) Mannigfaltigkeit menschlichen Miteinanders zu erfahren; Für jede(n) im Zuschauerraum, aber insbesondere für jene, die mit der französischen Kultur vertraut sind und die daher das abschließende Musikstück „Le vent l‘emportera“ als eines von Bertrand Cantat erkannten; einem Künstler, der in sehr tragischer Weise mit Liebesleid zu tun hatte und verbunden wird.
Wenig verwunderlich, dass auch nach dieser Vorstellung das Publikum jeglicher Altersstufen sich staunend oder berührt, amüsiert oder fasziniert von seinem Sitz erhob.
Cirque Aїtal: „Pour le Meilleur et pour le Pire“ am 30. Juli im Zelt im Augarten: weitere Vorstellungen am 31. Juli, 2., 3., 4., 6., 7., und 8. August. www.lastrada.at