Rhythmus einer Diva: Sie ist gerade mal 21, als sie sich in Peter Sellars Film „The Bobo” die Seele aus dem Leib tanzt. Man schreibt das Jahr 1967 und Antonia Santiago Amador, die als „La Chana“ schon legendären Ruhm genießt, sprüht beim Flamenco nur so vor (erotischer) Urgewalt. Ihre Auftritte sind ein wahres Feuerwerk tief im Innern empfundenen Rhythmusgefühls.
Sobald sie die Bühne betritt, entlädt sich ihre atemberaubende Dynamik. Das Talent einer Autodidaktin. Geboren um zu tanzen. Ihre Schritte prasseln so schnell wie exakt auf den Boden. „La Chanas“ Beinarbeit ist außergewöhnlich. Das Auge kann kaum folgen. Akustisch erlebt man ein Klanggewitter, das die Tänzerin körperlich an ihre Grenzen bringt und in einer Ekstase aus purem Sinti-Temperament gipfelt.
Fast ein halbes Jahrhundert später erzählt die Künstlerin der jungen kroatischen Regisseurin Lucija Stojevic freimütig von ihrer damaligen Erschöpfung – nach täglich acht Drehstunden. Auch Salvador Dali zählte zu ihren Fans und besuchte ihre legendären Tanzshows, allerdings stets mit einer seiner großen Haustier-Raubkatzen. Und darüber regte sich „La Chana“ („die, die viel weiß“) jedes Mal mächtig auf.
Im Spanien der 1960er und 1970er Jahre war sie ein Mega-Star. Doch nach Hollywood durfte sie Peter Sellars nicht begleiten. Ihr Macho-Ehemann, der ihr zuerst gentlemanlike den Hof machte und sie managte, auf dem Höhepunkt ihrer Karriere jedoch zum Rücktritt zwang und zuletzt mittellos mit dem gemeinsamen Kind sitzen ließ, war dagegen. Solche Interna erfährt man im Verlauf der packenden, geschickt mit Archivmaterial gespickten Dokumentation „Mein Leben. Ein Tanz“ eher nebenbei. Am Ende wird man Zeuge eines ergreifenden Comebacks der 1946 in Barcelona
geborenen Flamenco-Ikone.
Lucija Stojevic bohrt nicht nach, wenn sie Antonia Santiago Amador mit der Kamera begleitet. Ein wenig schade ist das schon. Schließlich ist man als Zuschauer neugierig. Wer Analytisches schätzt, dürfte von Stojevics Porträt eher enttäuscht sein. Wer jedoch bereit ist, in die Lebensatmosphäre einer Frau einzutauchen, die unglaubliche Höhepunkte und Niederlagen erlebt hat, wird begeistert sein.
Nahe kommt man der Hauptfigur auf jeden Fall – sei es zu Hause im Fernsehsessel ihres beeindruckenden mediterranen Heims, am Tisch mit ihrem zweiten Mann Felix Comas „aus dem Fischgeschäft“, in der Küche mit ihrer Tochter, beim Besuch eines ehemaligen Bühnenpartners, in Probensituationen mit einer jungen Tänzerin oder zwei Musikern, die von der charismatischen alten Dame höchst vital in Grund und Boden geklatscht werden.
Nur die Knie wollen „La Chana“ mit Ende 60 nicht mehr so recht tragen, weshalb der Flamenco ihren Körper nun im Sitzen durchströmt. Der Wirkung der Schläge ihrer nach wie vor geschwinden Knöchel und Fußsohlen mitsamt den eigenwilligen Windungen ihrer Arme tut dies keinen Abbruch.
Kinostart in Deutschland am 28. September, in Österreich am 6. Oktober