Er ist ein Virtuosenstück – der berühmte Grand Pas de deux von Kitri und Basilio am Ende des schmissig-heiteren Balletts „Don Quijote“. Mit List, unbändigem Charme und einem grotesken Täuschungsmanöver haben die Liebenden zuvor ihre Ruck-Zuck-Verehelichung wider den Willen des Brautvaters (herrlich tapsiger Dorfwirt: Norbert Graf) hinbekommen. Münchens Neuzugänge vom English National Ballet – Laurretta Summerscales und Yonah Acosta – machten daraus eine überwältigende Schau.
Seit August sind beide auch privat ehelich verbunden. Ihr beeindruckendes Debüt als versklavtes, um Freiheit kämpfendes Hauptpaar in „Spartacus“ gaben sie nur vier Tage zuvor. Da Ksenia Ryzhkova kurzfristig erkrankte, mussten beide nun einen Tag früher, nämlich am Premierenabend der Wiederaufnahmestaffel, ihren tänzerischen Ausdruck von Leidenschaft unter tragischen Bedingungen auf den feurigen Elan zweier verliebter Sympathieträger umstellen, umringt von ihren lustig schnalzenden Ensemblekollegen. Superlative waren – neben üblichen Neckereien und Pirouettenwirbeln – Acostas Beinverschraubungen in übernatürlichen Sprunghöhen.
Summerscales, die sich nicht künstlich spanisch verbog, sondern ihre fußflinke Kitri einfach ihrem Naturell entsprechend britisch-frisch anlegte, musste sich in einer spontanen Beuge zur Ferse anfangs kurz den verrutschen Spitzenschuh richten. Wenig später verblüffte sie das zunehmend euphorisierte Publikum mit einer endlos stabilen, absolut wackelfreien Balance. Wer weiß, wie lange sie noch auf einer Fußspitze gestanden hätte, wäre die Musik nicht vom Band gekommen.
Der hohe Lernaufwand für nur fünf Vorstellungen und das kaum Spielraum für technische Freiheiten gewährende Klangkorsett der Ludwig-Minkus-Einspielung durch das Bayerische Staatsorchester (noch unter André Presser) sind Wermutstropfen für die bestens probengetriezten und durchweg ambitionierten jungen Neuinterpreten nach sieben Jahren Spielpause dieses Werks. Zur Hochzeit gratuliert in Ray Barras stark reduzierter Fassung (komplett gestrichen: die Zigeunerbande im Mühlenkampfbild), die 1991 beim Bayerischen Staatsballett uraufgeführt wurde, sogar der verprellte reiche Edelmann Camacho (Javier Amo).
Die Titelpartie des fahrenden Ritters hat Barra in seiner inhaltlich schlanken und spartanisch ausgestatteten Choreografie (Bühne: Thomas Pekny) aufzuwerten versucht – mittels immer wieder in die lebhaften Szenenabfolgen eingeflochtener Traumsequenzen. Erik Murzagaliyev verleiht Don Quijotes rührseliger Gestalt Grandeur. Dulcinea, das strahlende und funkelnde Traumgeschöpf-Juwel in seinen Armen wurde erstmals von Prisca Zeisel interpretiert.
Alternierend zu Ivy Amista (an Ryzhkovas Stelle Hauptrollenpartnerin des nach längerer Verletzungspause wieder topfitten Osiel Gouneo) überzeugte Zeisel gleich am Folgeabend zudem noch als Mercedes (heißblütige Geliebte des Matadors) mit zwar etwas langsamer als gewöhnlich angelegtem spanischen Temperamentstenor, dafür aber betont verführerischen Blicken. Don Quijotes Visionen der makellosen Dulcinea übernahm mit langgliedriger Grazie währenddessen erstmals die Amerikanerin Kristina Lind.
Nicht ganz lampenfieberfrei kamen Vera Segova und Arianna Maldini durch ihre Variationen zum Finale des ersten Akts. Das Vergnügen an den neu eroberten Rollen bei Maria Chiara Bono in der quirligen Partie des Amor und Jonah Cook in der ihm eher fremden Rolle des Torerocape schwingenden Matadors (in zweiter Besetzung – typensouveräner, technisch jedoch weniger ausgefinkelt: Ensembletänzer Henry Grey) wird sicher zunehmen – zumal beide die Schwierigkeiten ihrer Nummern auf Anhieb meisterten.
Nicht zu übersehen: der Spaß, den Konstantin Ivkin bei seinem Sancho Pansa-Debüt hat. Frech schnappt er sich, bei Barra ein federleichter Geselle, erst Rock für Rock, dann, weil es mit den Frauen nicht klappt, einen Schinken. Ein weiteres unterhaltsames Bindeglied der in einem Prolog und fünf Bildern skizzierten Geschichte sind Paco und Pepe. Jinhao Zhang und Dmitrii Vyskubenko legen sich (wie überhaupt die gesamte Männerriege) als witzige Schankgehilfen voll ins Zeug und holen vergleichbar dem Hauptpaar aus dem Stück, was geht. Leicht ist das nicht. Im Vergleich zu Nurejews zuletzt von Manuel Legris im Dezember 2017 so umwerfend in Hamburg einstudierten Version oder der Stuttgarter Neuinszenierung von Maximilano Guerra fehlt Münchens „Don Quijote“ einfach der innere Rhythmus und ultimative, flippige Pep.
Bayerisches Staatsballett „Don Quijote“ (Ray Barra), Wiederaufnahme am 11. Jänner 2018 und Folgevorstellungen bis 14. Jänner im Prinzregententheater