Das EU-Projekt „Dance On, Pass On, Dream On“ beschäftigt sich mit Tanz im Alter und der Frage, wie er Altersbilder verändern kann, Als Partner der europäischen Initiative präsentierte das Festspielhaus St. Pölten die Dance On Compagnie, deren Mitglieder über 40 sind. Einige Tage davor war die partizipative Performance „Ins Tanzen Plus“ mit der Festspielhaus-Community für ältere TeilnehmerInnern zu sehen. An beiden Abenden überlagerte jedoch das Konzept die künstlerische Ausführung.
Dance On wurde von der Kulturmanagerin Madeline Ritter gegründet, die zusammen mit dem Tänzer Christopher Roman die 2015 gegründete Compagnie künstlerisch leitet. Die sechs Tänzerinnen und Tänzer strafen den Ballett-Jugendkult erwartungsgemäß Lügen: Superfit, ausdrucksstark und differenziert in ihrem Auftreten spielen Ty Boomershine, Brit Rodemund, Christopher Roman, Jone San Martin, Frédéric Tavernini und Ami Shulman wohl immer noch in der Topliga. Muss sich hier wirklich die Altersfrage stellen? Sollte der Trend nicht vielmehr dahin gehen ältere PerformerInnen einzubeziehen um von ihren künstlerischen Erfahrungen und ihrer Ausdrucksstärke zu profitieren als sie in eigenen Compagnien zu „re-aktivieren“? Abgesehen von Ausnahmetalenten wie die Solistinnen Louise Lecavalier oder Sylvie Guillem findet man in zeitgenössischen Tanzproduktionen tatsächlich immer öfterTänzerInnen, die weit über 40 sind.*
Dance On trägt zumindest zu diesen Diskussionen bei, auch wenn das Konzept im Falle von „Water Between Three Hands“, dem Stück mit dem das Ensemble in St. Pölten gastierte, nicht wirklich aufging. In der Regie des Künstlers und Theatermachers Rabih Mroué wechselten sich Textpassagen und Tanzsequenzen ab. Schlagzeuger Philipp Danzeisen begleitete das Geschehen im Hintergrund mit angespannter Aufmerksamkeit und rhythmischer Vielfalt. Es begann mit einem interessanten Text („When I excavated myself I found bones that did not belong to me. In fact, only two bones were mine …“), der in Ableitung des Themas in Spiegelungen von Gruppenkonstellationen einerseits und Handgesten des Sprechers andererseits mündete. Nach diesem starken Anfang wurden Text- wie Bewegungsmaterial zunehmend abstrakter und beliebiger. Die Szenen reihten sich gleichförmig aneinander und bei den Tanzsequenzen kamen die PerformerInnen nur selten aus ihrer Komfortzone heraus. Das ist vorhersehbar, wenn man, wie in diesem Fall, die Choreografie den Tänzerinnen überlässt. Ein kritischer, distanzierter Blick hätte aus ihnen sicher viel mehr herausgeholt.
Die Überkonzeptualisierung war auch bei der partizipativen Eigenproduktion des Festspielhaus St. Pölten eher Hindernis als Förderung. Während Vivana Escalé im ersten Teil des Abends den TeilnerhmerInnen der Community-Gruppe "Tanz 60 plus" für ihre Text- und Bewegungsinterventionen noch eine poetisch-ästhetische Struktur gab, optierte das deutsche Künstlerduo Kattrin Deufert und Thomas Plischke für einen völlig offenen Prozess. Zetteln mit Bewegungsbeschreibungen wurden an das gesamte Publikum verteilt, das die Aktionen ausführte und die Anweisungen weiterreichte. 15 bis 20 Minuten lang war das sowohl zum Mitmachen als auch zum Anschauen unterhaltsam. Doch die Musik, nichts Geringeres als Strawinskis „Sacre du printemps“, musste zur Gänze abgespielt werden. Ob als aktive TeilnehmerIn oder ZuseherIn – die Chose wurde fad und uninteressant. Vielleicht meinten deufert&plischke aus den (älteren) Laien ohnehin nicht mehr herausholen zu können? Die zahlreichen Luftkissen, die zu Anfang des Stücks auf die Bühne schwebten waren in diesem zweiten Teil wohl auch der künstlerische Höhepunkt.
*PS: Eine der ersten Compagnien für TänzerInnen über 40 wurde 1991 von Jiri Kylián, damals noch Direktor des Nederland Dance Theatre (NDT) gegründet. Die für dieses Ensemble geschaffenen Choreografien hoben sich klar vom virtuos-dynamischen Stil der Haupt- und Juniorcompagnie ab und pflegten einen tanztheatralischen Stil, der die darstellerischen Stärken der reiferen TänzerInnen betonte. NDT III avancierte schnell zum Publikumsliebling und wurde 2006 dennoch aus finanziellen Gründen aufgelöst.
Tanz plus 60: „Ins Tanzen Plus“ am 24. Jänner und Dance On: „Water Between Three Hands“ am 27. Jänner 2018 im Festspielhaus St. Pölten