Und sie kamen: die Tanzinteressierten, die zufällig Vorbeischlendernden und die Neugierigen, die erfahren wollten, was sich da in den Hinterhöfen abspiele. Nein, nicht für Voyeure tat sich da etwas; vielmehr waren – nach einer erfolgreichen Exkursion in den Park von und in das Schloss Eggenberg im vergangenen Jahr – die Tänzer und Tänzerinnen des Grazer Opernhauses in teils wenig bekannte Höfe der Altstadt ausgeschwärmt.
Gemeinsam mit Musikstudenten der Kunst Uni Graz brachten sie derart Schmuckstücke des öffentlichen Raums ins Bewusstsein von so manch Staunendem. Vor allem aber integrierten sie überaus stimmig Kunst in diese 5 altehrwürdigen Orte. Bezaubernde Musikbeispiele aus dem 17.Jahrhundert von François Couperin, J. Sebastian Bach, Henry Purcell u.a., vorgetragen auf alten Originalinstrumenten, bildeten den akustischen Raum für Visuelles, für Kurz- und Kürzest-Choreographien, für die die Tänzer des Balletts selbst verantwortlich zeichneten. Nicht zu vergessen ihren Direktor Jörg Weinöhl, der neben der Idee für dieses sehr gelungene Konzept (bestens organisierte von Kathrin Rosenberger), für diese „Choreographische Exkursion“ in mutiger Solidarität auch ein eigenes, kurzes Tänzchen beisteuerte: als (mit den Beinen und Füßen) vorsichtig Suchender, als mit zurückhaltend-geschmeidigen Armbewegungen ein sensibel emotional-intellektuelles Innenleben Andeutender.
Eine eher unbekannte Seite von Simon Van Heddegem war in seiner Arbeit „Letting go“ zu entdecken. Hatte er doch einen berührenden Text, zitiert aus Passagen unterschiedlicher Herkunft, zum Thema Loslassen zusammengestellt: als Ausgangspunkt für und als verbales Netz um die tänzerische Gestik (die in ihrem beschreibenden Duktus in eine weiteren Ebene ausbaufähig wäre) seiner Interpreten.
Inhaltlich offenere Gestik kennzeichnet die kleine, feine Choreographie „Eierschalen“ von Nimrod Poles. Steht sie doch in interessantem Widerspruch und gleichzeitig als Betonung des Angefeindeten der grundsätzlich höfisch geregelten Bewegung der Sarabande: Interpretierbar also als Gesten des Versteckens, des nicht Sehen-Wollens von Sinnlichkeit einerseits und deren (verbotener) Reize andererseits.
Neckisch heiter in der Wiese des lieblichen Gartens des Bischofspalais: die Szenen der/einer nicht immer ganz trauten Zweisamkeit, der Machtspielchen und Eifersucht in einer Choreographie von Daniel Myers. Amüsant, wobei eine Straffung der „Catch-Passage“ einem etwas feinsinnigeren tanztheatralen Charm guttäte.
Wohlverankert in seinem darstellerischen Element: João Pedro de Paula in seinen von ihm selbst interpretierten Mini-Choreographien. Geschickt verbindet er seine tiefernste Emotionalität mit augenzwinkernder Körperlichkeit; professionelles Geschick beweist er, wenn von vereinzelten Regentropfen befeuchtete Murnockerln des (derart authentischen) „barocken“ Tanzbodens ihn ausrutschen lassen und er dieses kleine Missgeschick alsogleich in eine köstliche kleine Szene umzusetzen versteht.
Wie immer wieder von außergewöhnlicher Klasse konzentrierter, langsam und ruhig geführter, geradezu meditativer Körperbeherrschung ist eine abstrakte Bewegungspräsentation Chris Wangs; und sei sie wie hier auch „nur“ eine „Improvisation“.
Die Offenheit Jörg Weinöhls gegenüber den Choreographie- bzw. Präsentationswünschen seiner Tänzer beweist der Beitrag von Enzo Convert: zeigt dieser doch hoch fokussiert und in außergewöhnlich fließender Geschmeidigkeit eine (damit) besonders beeindruckende Langform von Tai Chi.
Dieses (leider nur ein Mal umgesetzte) Projekt bildet in gewisser Weise auch den Abschiedsgruß Jörg Weinöhls; verlässt er doch mit Ende dieser Saison und auf eigenen Wunsch in seiner Funktion als Ballettdirektor das Grazer Opernhaus.
Ballett der Oper Graz: "Komm mit!" am 16. Juni 2018 in der Altstadt von Graz