Wie aufwändig muss Kommunikation sein, um Verstehen und daraus resultierendes Miteinander zu gewährleisten? Dass es nur sehr weniger Signale Bedarf, das führt bei La Strada Graz gleichermaßen bezaubernd wie humorvoll und tiefgründig die Familie Flöz vor. Wie Mitteilung in ganz anders reduzierter Form aber auch (für manche) funktionieren kann, das versuchen die Asphalt Piloten in ihren spartenübergreifenden Projekten zu erkunden.
Familie Flöz: „Dr. Nest“
Die künstlerischen Wurzeln des international bis heute in 34 verschiedenen Ländern erfolgreich auftretenden Ensembles liegen in der Folkwang-Hochschule, also in der Ausbildungsstätte für Bewegungstheater in Deutschland. Dass ihre individuelle Darstellungskunst bald zu einer außergewöhnlichen heranwachse, das wussten sie offensichtlich schon 2001, als sie erstmals unter dem heutigen Namen auftraten; bedeutet Flöz doch die Erdschicht, in der Wertvolles in Vielfalt eingelagert ist. Die ihre beginnt schon beim unaufdringlich funktionellen, luftig-leichten Bühnenbild (Christian Eckelmann, Felix Nolze), das Dank Lichtgestaltung (Reinhard Huber) etwa zum fahrenden Zug mutiert. Zu einem anscheinend verzauberten, in dem man selbst gerne säße. Ohne allerdings dort, in einer abgelegenen Heilanstalt, ankommen zu wollen, wohin es Dr. Nest vertreibt – auf der Flucht vor Erinnerungen an ein unrundes Leben, aber doch auch noch erfüllt von bestem Wollen.
Vor dem eigentlichen Handlungsbeginn wird freilich eines schon „für alle Fälle“ angedeutet: Wer Patient und wer Behandelnder ist, das kann sich im Handumdrehen, respektive durch (ungewollten) Weißen-Kittel-Tausch ganz schnell ändern (mit köstlicher Bewegungstechnik als Art Prolog von den Darstellern - noch ohne Maske - mehrfach durchgespielt). Und eben dieses Ineinanderfließen von Normalität und verstiegen-verträumter Absonderlichkeit stellt den Kern der Geschichte in unzähligen witzigen und vor allem zutiefst menschlichen Szenen dar: so manche sind in all ihrer Absurdität erschreckend vertraut…
Ihre Tiefenwirkung beruht auf der grundsätzlichen Schlichtheit des jeweils Dargestellten, das allerdings sehr wohl in mehreren Schichten sich formuliert. Das sind die wundersamen, expressiven Gesichtsmasken (Hajo Schüler), von denen man kaum den Blick lassen kann und die doch intellektuellen Abstand anzubieten vorgeben. Da sind die fantasievollen Kostüme (Mascha Schubert), die allen ernsten Inhalten zum Trost eine nahezu kindliche Freude an ihrem Betrachten verursachen. Und da ist das geschichtenüberquellende Mosaik aus Lebens- und Charaktersplittern, das ganz ohne gesprochenes Wort auskommt, das bitterböse ist und voll der ansteckenden Empathie.
Dass schon derart die Assoziationen in den Zuschauerköpfen Purzelbäume schlagen, wundert nicht. Aber dann ist da ja auch noch die Darstellungsweise der 5grandiosen Schauspieler; nämlich eine der ganz kleinen Bewegungen und Gesten, die jeweils 100prozentig auf den inhaltlichen Punkt gebracht Bände erzählen. Dementsprechend müßig ist es, von all dem zu erzählen – man muss es gesehen haben.
Asphalt Piloten: „Still Motion“
Fünf zueinander versetzte, große quadratische Leinwände bilden das Bühnenbild – öffnen über sich ändernde Projektionen das Tor zu einer urbanen Welt: zum winzigen Detail, zum privaten Lebensbereich eines (leeren) Zimmers, zu Ausschnitten der Architektur im öffentlichen Raum, zum Einengenden und Weiterführenden, zum hellerleuchteten Dunkel einer allerwelts Stadtnacht.
Der Zuseher schaut durch die Augen des Performers. Eines, der sich minimal bewegt, eines, der im Laufe der Zeit Schritte tut, größere Armbewegungen langsam vollzieht; der schließlich, einige wenige Male, zielgerichtet Schritte setzt, und der letztendlich sich entfernt, nach hinten, vereinnahmt vom Sog der Stadt.
Sie, die Zuseherin, ist „gezwungen“ zu sehen, was dieser, der „Stadt-Mensch“ sieht, sehen will. In sehr langsamer Abfolge: gelassen erkundend, hochgradig sensibilisiert für selten Beachtetes, kaum je Geschautes, in seiner Schlichtheit Faszinierendes, ja Schönes, wenn man sich darauf einlässt, auf die Struktur von Betonplatten, auf die kahle, aber leicht verschmutzte Wand eines Zimmer, auf Betonstiegen: die, ja, im ungewohnten Perspektivenwechsel (Kamera Andreas Pfiffner) Formschönes, grafisch Interessantes sichtbar machen.
Oder aber gelangweilt ob all der Eintönigkeit rund um ihn? Abgestumpft vom Gleichmaß beim oberflächlichen Schauen, von der grenzenlosen Summe des pausenlos Gesehenen.
Die Interpretationsbreite, die das 30minütigen Projekt an der Schnittstelle von Performativem und Fotografischem anbietet, ist groß. Die Verbindung zwischen Mensch und ihn umgebender, gestalteter Welt weitgehend offen. Das Angebot, das hiermit Angedeutete mehr zu beachten, zu hinterfragen, ist als möglicher Anstoß erkennbar. Dass ein wenig mehr an künstlerischer Hilfestellung nicht unangenehm gewesen wäre, ist ein anzuführender Faktor.
Familie Flöz: „Dr. Nest“, Opernhaus Graz am 30. Juli 2018; Asphalt Piloten: „Still Motion“, im Fernheizwerk Graz am 31. Juli 2018, im Rahmen von La Strada Graz (noch bis 5. August)