Mit Mitteln des traditionellen Zirkus‘ werden im Cirque Nouveau häufig Geschichten erzählt. Dem in diesem Genre aber auch gängigen Umkreisen eines Themas widmet sich die Compagnie Baro d’evel in ihrer Wanderzirkus-Kreadition „Bestias“, einer Koproduktion mit La Strada. Ein „Parcours durch die Grazer Innenstadt“ wie „In-Between“ von Kunstlabor Graz und Teatri ODA Prishtina angekündigt wird, kann vielerlei Gesichter haben…
„Bestias“
Das mit dem Thema ist so eindeutig allerdings nicht: Wenn man ins traditionelle Zirkuszelt endlich eingelassen wird, in einen Vorraum, ist man dann schon drinnen, hat die Vorstellung schon begonnen, wenn man charmant in gebrochenem Deutsch begrüßt wird, beim Weitergehen nicht nur Pferdegeruch atmet, sondern hinter der Plane auch diese Tiere traben hört, ihre Schatten sieht? Und als, wenn alle ihre Plätze eingenommen haben, ein Pferd gelassen die Manege durchquert: Ist das schon Programm, ist das Suchen nach einer Anfangsszene und oder ist der frei in den Zelt-Raum fliegende Vogel gerade dem vorbeigetragenen Käfig ohne Boden entflohen?
Das Durcheinander scheint im verdeckten Miteinander freilich Methode zu haben, in einem anfangs- und endlosen Spiel der Körper und Kräfte, in einem von Mensch und Tier und dem, was es dazwischen so alles gibt: wie den (in vielerlei Belangen eingesetzten und heutzutage) gehäuft auftauchenden Strohmännern (hier in aller Realistik, soweit das möglich ist) etwa, oder aber dem harmloseren Vogelmensch, der einfach so, einfach in und mit seinem gekonnten, menschlich-tierischen Agieren amüsiert.
Die Möglichkeiten, die ein gleichberechtigt-respektvoller Umgang mit allem und jedem bieten, dieses harmonische Fließen – das nichtsdestotrotz alle, also Zuseher wie Künstler, auch tückische Wirbel beinhalten kann – das bildet die hochprofessionelle charmant-witzige Basis dieser unorthodoxen französisch-katalanischen Artistengruppe.
Sie fasziniert durch ihr immer wieder einmal auch nur nebenbei präsentiertes akrobatisches Können am Boden und in der Luft. Sie verunsichert und sie machen staunen ob ihrer unangepassten Programmgestaltung wie über deren Inhalte: ein Gruppentanz mit bauchtiefem Schreien – Wiederholung und schnörkellose Geradlinigkeit lassen auf katalanischen (?) Folklore-Ursprung tippen; Kleinvogelflugschau mit heimeligem Nest in den Kopfhaaren einer Artistin. Sie lassen ungeschönte Menschlichkeit erleben in ihrem Bewegungsfluss wie in ihrem Geschehen-lassen. Eine Vorgabe mit intendierter Nachahmens-Motivation – für Anfänger vorerst vielleicht im Kleinen?
„In-Between“
Die „In-Between“ - Situationen sind tatsächlich sehr vielfältig; (künstlerisch) originell respektive ungewöhnlich, aber auch weniger. Genau so, wie es die Realität selbst jeder bietet und so wie diese sie sehr individuell empfindet. Und in diesem divergierenden Punkt liegen auch die Herausforderungen (und Schwächen) des interessanten und wiederum ambitionierten Projekts (es ist das dritte dieser Art, das UniT initiiert; immer angelegt um gesellschaftspolitisch brisante Themen).
Das Thema um das Gefühl vom Dazwischen-Sein, um die konkrete Situation, ist ein fast unbegrenzt großes und damit schwer zu fassendes. Zwar werden im Projekt sowohl alltägliche, also weithin bekannte Situationen (die von Wartenden in einem verschlossenen Raum, Kontrollsituation im Flughafen) und solche im Migranten-Status dargestellt (das tatsächliche Eingesperrt-Sein ohne Ausblick, das Beobachtet-Werden, konkrete situative Beispiele anhand von eingespielten Texten, Verweis auf drastische Vorkommnisse in der Vergangenheit, angedeutet in einer Szene im Grazer Dom) , aber die Botschaften kommen oft nicht wirklich an, greifen nicht tief. So sehr sie auch aus dem tatsächlichen Immigranten-Leben gegriffen sind wie das (hier als Rahmen angelegte, in Realität zumeist verzweifelte ) Suchen nach dem richtigen Weg: In der „netten Gruppe von Kulturinteressierten“ macht das geforderte Suchen (um die“ Reise“ fortsetzten zu können) von visuellen „Zeichen“ (siehe Orientierungslauf) und das Horchen nach ortsfremden Geräuschen vor allem Spaß – und sicher nicht Angst. Als „Störfaktor“ zur thematische Fokussierung gesellt sich außerdem der Reiz (auch für Grazer) von bislang noch nicht besuchten Orten. Und so wird etwa barocke Bildvielfalt mehr beachtet als der mit Absicht vorgehaltene Spiegel. Und schließlich, insbesondere wenn man um Konzentration auf das Gebotene bemüht ist, sieht man Dinge, ergeben sich beim aufmerksamen Schauen, Registrieren des Alltäglichen, immer wieder auch kleine Szenen, die bühnenreif für In-Between wären. Die Frage, ob das gewollt ist, lenkt ab, einerseits. Andererseits: was ist mehr zu erhoffen von einem derartigen Projekt als Sensibilisierung für das Thema!?
Eine (beabsichtigte) Szene hat aber zweifellos für viele ins Schwarze und damit unter die Haut gegriffen: Wenn ein als wahrscheinlicher Migrant Erkennbarer über Megafon mitten in einer belebten Innenstadtstraße in gebrochenem Deutsch der Gruppe verordnet: „Gehen Sie in der Reihe, gehen Sie langsam“ und wenn also die mit Absperrseilen in Reih und Glied gehaltene Gruppe an einem dicht besetzten Café vorbei muss: unter den entgeisterten, bewegungslosen Blicken der dort Small-Talkenden.
Compagnie Baro d’evel: „Bestias“ im Zelt im Augarten am 1. August; Kunstlabor Graz/Teatri ODA: „In Between“ in der Grazer Innenstadtam 2. August im Rahmen von La Strada Graz