Huldigung an die Schönheit der Tanzkunst. Einfach nur strahlen, so richtig von innen heraus. In George Balanchines Edelstein-Ballett „Jewels“ ist das die ultimative Herausforderung – individuelle emotionale Farbigkeit eingeschlossen. Die schnörkellosen, typisch neoklassischen Attacken trippelnder, galoppierender, promenierender bzw. zielgenau in die Luft schnellender Spitzenschuhe und das virtuose Drumherum der Männer charakterisiert keine Figuren.
Keinerlei Handlung stärkt den Hauptinterpreten dieses exquisiten Repertoirejuwels den Rücken. Für die gesamte Dauer der drei jeweils eigenständigen Stücke „Smaragde“, „Rubine“, „Diamanten“.
Nur mit prächtig großen Klunkern und Krönchen verzierte Kostüme geben den Auftretenden eine stets elegante, selbstbewusst-prickelnd starke Aura vor. Frauen verwandeln sich in tanzende Edelsteine – zu schlichten Ketten, opulenten Colliers und blitzblanken Formationen gereiht, die Assoziationen an geschliffene Facetten wachrufen. Brillant choreografierte Schmuckware, die sich solistisch entweder allein genügt oder ihren Glanz im Verlauf eines Pas de deux oder Pas de trois im Zusammenspiel mit einem männlichen Partner verändert.
Seit Igor Zelenskys Direktionsantritt konnte das Bayerische Staatsballett in zahlreichen dramatischen Abendfüllern einen künstlerisch beachtlichen personellen Kern entwickeln. Die nun erfolgte „Jewels“-Übernahme wirkt daher wie ein Ausreißer. In seiner Substanz vergleichbar radikal dem im vergangenen April uraufgeführten Porträt-Triptychon von Wayne McGregor. Nur eben 51 Jahre älter. Schließlich war Balanchine der erste, der 1967 das New Yorker Publikum einen kompletten Abend lang mit einer abstrakten Hommage an die Tanzkunst selbst konfrontierte.
Das Überraschende an der Münchner Einstudierung ist die Besetzung. Die Ballettmeister des Balanchine-Trusts ließen das Gros unserer wenigen festen Ersten Solisten schlichtweg links liegen. Warum Ben Huys, Patricia Neary (für sie entstand einst die Partie der Solistin in „Rubies“) und Elyse Borne, die in letzter Generation den 1904 in St. Petersburg geborenen Wahlamerikaner Balanchine noch aktiv erlebte, dies taten, bleibt ein Rätsel. Stattdessen holten sie – in erstaunlicher Übereinstimmung – Tänzerinnen und Tänzer aus dem Corps de Ballet in die vorderste Reihe. Folge der kleinen Auswahl waren Mehrfachbesetzungen.
Ihr „Smaragd“-Solo präsentiert Gruppentänzerin Jeanette Kakareka mit absolut souveräner Leichtigkeit. Ohne an Grenzen zu stoßen, bewältigt Solistin Prisca Zeisel zwei der insgesamt fünf Ballerinen-Rollen des Dreiteilers. „Esmeralds“ eröffnet sie lupenrein und strahlt an der Seite Emilio Pavans, der im Gespann mit Henry Grey und Dmitrii Vyskubenko (zwei Senkrechtstarter!) das romantische Bild unerfüllt liebender Prinzen inmitten eines Dutzend wadenlanger Tüllröcke perfekt verkörpert. In „Rubies“ behält die Wienerin – kess und technisch gewieft – problemlos die Kontrolle über ihre Balancen. Selbst im Klammergriff von vier Jungs, die sie gleichzeitig an Handgelenken und Knöcheln in verschiedene Richtungen ziehen.
Die Wirkung von „Jewels“ steigert sich: von „Emeralds“ mit seiner traditionell-elegischen Lyrik, die von der Musik Faurés getragen wird, bis zum finalen imperialen Glamour von Tschaikowskys 3. Sinfonie in „Diamonds“. Ksenia Ryzhkova – wunderbar verträumt in sich versunkene „Diamonds“-Primadonna – überzeugte mit technischer wie darstellerischer Überlegenheit. Hinzu kommt ihre stete feminin-natürliche Ausstrahlung. Ein großer Star wächst hier heran! Gemeinsam mit dem tadellosen Premieren-Einspringer Alexey Popov meisterte sie den langen Pas de deux bravourös.
Die Zuschauer waren erst beim zweiten Teil angesichts der rubinroten, basaltsäulenartig zur Decke strebenden Bordüren aufgetaut. Bloß das mittlere der drei 2004 für das New York City Ballet überarbeiteten Original-Dekore von Peter Harvey verströmte ein wenig moderndes Flair. Davor verzauberte flirrende, etwas altmodische Schönheit in sattem Smaragdgrün. Im Schlussbild nahmen die geschwungenen, himmelblauen Hänger der Bühne leider etwas von ihrer eigentlichen Weite. Schade zudem, dass das Bayerische Staatsorchester unter Robert Reimer, der sein Hausdebüt als Dirigent gab, ausgerechnet im synkopisch-fetzigen Mittelteil bei Strawinskys „Capriccio für Piano und Orchester“ nicht in die Vollen ging.
Nichtsdestotrotz sorgten Osiel Gouneo und seine Gastpartnerin Nancy Osbaldeston (Erste Solistin des Royal Ballet of Flanders) mit nonchalant-virtuoser Verve für witzige Abwechslung in den mit Show- und Revuetanz-Elementen gespickten „Rubies“. In Anbetracht aller stilistischen Tücken waren insgesamt einige Momente von Zurückhaltung zu spüren. Man darf jedoch sicher sein: Die Münchner Truppe wird diesen Balanchine gewiss bald noch explosiver, noch lässiger, ja frecher tanzen.
Bayerisches Staatsballett „Jewels“, Premiere am 27.Oktober 2018 im Münchner Nationaltheater. Nächste Vorstellungen: 1., 3. November 2018; 3., 11., 21. April und 4. Juli 2019