Vertrackte Konstellation! Weil die professionelle Tanzausbildung in Bayern international nicht konkurrenzfähig war, rief Münchens damalige Primaballerina Konstanze Vernon vor 40 Jahren eine Stiftung ins Leben. Ihre pädagogische Weitsicht, mit der zudem ein emotionales Anliegen verquickt wurde, war, junge Talente durch bessere Ausbildung zu fördern und die Erinnerung an den geschätzten Ballettpartner Heinz Bosl wach zu halten.
Bosl, dessen Namen Deutschlands wohl älteste und für das Ballett in München überaus bedeutsame Stiftung trägt, galt als Ausnahmetänzer. 1975 erlag er mit nur 28 Jahren einem Krebsleiden.
In der Matinee vergangenen Sonntag teilten sich mit Koyo Yamamoto aus Zürich, Gabriel Figueredo aus Stuttgart und dem Münchner Zögling Justin Rimke drei junge Tänzer zwischen 18 und 21 Jahren den nicht weiter kommentierten Heinz-Bosl-Preis. Dabei hätte man nach der perfekten Variation aus „Nussknacker“ (Yamamoto), dem einfach toll getanzten „Raymonda“-Solo (Figueredo) und Ivan Liškas neoklassischem Ligeti-Stück „Ricercare“ (Rimke) gern etwas mehr über Dotierung und Jury-Begründung erfahren. Allzu schnell legte sich der von den Gewinnern aufgewirbelte frische Wind wieder. Sogar Bettina Wagner-Bergelt richtete die einzige Ansprache weniger Richtung Zukunft, sondern hauptsächlich retrospektiv auf Vernons Verdienste aus.
Angekoppelt wurde die mit Privatvermögen und Spenden 1978 gestartete Initiative an die Hochschule für Musik, deren Studierende Vernons sogenannte „Bosl-Kinder“ waren. 1987 erfolgte die Ernennung zur Ballett-Akademie. Heute leitet Prof. Jan Broeckx das weiterentwickelte und dank Vernons Tatkraft räumlich seit 1989 in den ehemaligen Schwabinger Trambahndepots untergebrachte Tanzinstitut der Hochschule für Musik und Theater München. Die Stiftung unterstützt ihn bei Projekten wie Prokofjews „Peter und der Wolf“, darüber hinaus müssen anderweitig Sponsoren aufgetrieben werden.
Zum Auftakt der Matinee, die erstmals das Attacca Jugendorchester des Bayerischen Staatsorchesters unter Allan Bergius begleitete, tummelte sich die gesamte Schule nebst Vogel, Ente, Katze, Großvater, Peter und Wolf (samt Rudel) auf der Bühne. Für die Jüngsten hatte Kinsun Chan bildhaft Wiese, Wald und Wasser als chorische Bewegungen gestaltet. Sein optischer Coup: die fast kubistische, ganz auf schwarz-weiß reduzierte Ausstattung. Ein richtiges Ausbildungs-Stück, herzig anzuschauen.
1980 lud Vernon zu einer ersten Sonntags-Matinee ins Nationaltheater und begründete eine bis heute vier Mal jährlich stattfindende Tradition. Ballett ist schön, Tänzer zu werden dagegen schwer. Diese zwei Berufsseiten wollte sie mit Übungen und Choreografien für die verschiedenen Altersstufen immer wieder zeigen. Deshalb ermöglichte sie Eleven Auftritte unter Profibedingungen und baute Gastauftritte namhafter Solisten und bald auch erfolgreicher Absolventen in die stets ausverkauften Programme mit ein.
Unter neuer Leitung von Ivan Liška, der schon als Direktor des Bayerischen Staatsballetts in Vernons Fußstapfen treten durfte und nach ihrem Tod 2013 den Stiftungsvorsitz übernahm, veränderten sich die Inhalte. Als Mitbegründer und Chef des 16-köpfigen – gemeinsam von Stiftung, Ballett-Akademie und Staatsballett getragenen – Juniorballetts rückte er dessen Repertoireausbau in den Mittelpunkt. Doch ausgerechnet in der Jubiläumsausgabe zum 40. Stiftungs-Geburtstag am 11. November dämpfte arg viel Bühnenbildschwärze die Stimmung im Saal – trotz zahlreich erschienener Alumni.
Von Dunkelheit waren alle drei vom Bayerischen Junior Ballett neu präsentierten Stücke geprägt. Jiří Kyliáns „Un ballo“ – seine erste Arbeit für die Junioren des Nederlands Dans Theaters – setzt sich unter brennenden Kerzen auf nur halb hochgezogenem Scheinwerfergestänge sogar thematisch mit Tod und Vergänglichkeit auseinander. Eine düstere Herausforderung, die die Tänzerinnen und Tänzer in einem Fluss sich ablösender, dann zu einem großen Tableau anschwellender Pas de deux einfühlsam zu Ravels Minuet aus „Le Tombeau de Couperin“ und „Pavane pour une infante defunte“ bewältigten.
Glück, dass Eric Gauthier in seiner witzigen Persiflage „Ballet 102“ die Formregeln des Pas de deux ausgesprochen fetzig auf die Schippe nimmt. Lotte James aus Australien und ihr italienischstämmiger „Macho“-Partner Martin Nudo nutzten die Gelegenheit, um famos ausdrucksdeftig zu strahlen.
Auch in Terence Kohlers „Inter-Mezzo“ – 2003 für Kommilitonen der Akademie des Tanzes in Mannheim kreiert – bremsen sich die Interpreten bisweilen amüsant aus. Dennoch ließ die sich sehr allmählich entwickelnde Neueinstudierung den Vormittag eher zäh ausklingen. Lange bevor sieben Paare in typischen Posen und ausgefinkelten Schrittkombinationen aufeinandertreffen, werden Körper im Forsythe-Look verbogen und Fußbewegungen fast provokativ hörbar gemacht. Ein fröhliches Fest der Generationen blieb jedoch aus.
Heinz-Bosl-Matinee: „40 Jahre Heinz-Bosl-Stiftung“ am 11. November im Nationaltheater München, nächste Aufführung am 2. Dezember 2018