Trotz ihrer langjährigen „Exils“ im Burgenland kann Liz King, Pionierin des zeitgenössischen Tanzes in Österreich, mit ihrem treuen Wiener Publikum rechnen. Viele unter ihnen haben das legendäre Tanztheater Wien (ca. 1982 bis 2000) wohl nicht live erlebt, doch die engagierte Nachwuchsförderung, die die Choreografin im Burgenland betreibt, hat auch die jüngere Generation in den Ankersaal im 10. Bezirk gebracht.
Seit 2005 leitet Liz King das choreografische Zentrum D.ID Dance Identity im Burgenland. Seither haben im Studio in Pinkafeld jedes Jahr mehrere ResidenzkünstlerInnen ihre Stücke erarbeitet und wurden von D.ID Dance Identity bei der Produktion unterstützt. Darüber hinaus wurden etwa 30 partizipative Community Projekte kreiert. Herzstück der Aktivitäten sind die jährlichen Burgenländischen Tanztage im Frühjahr, die heuer erstmals aufgrund verspäteter Subventionszusagen nicht stattfinden konnten.
Doch Liz King fand auch diesmal einen Ausweg. Dieser lag in Wien, in der Anker Brotfabrik. Dort präsentierten die diesjährigen D.ID-Artists in Residence, Eva-Maria Schaller und Katharina Senk, ihre neuen Arbeiten. Beide haben für eine Gruppe gearbeitet, und verfügten für die Realisierung ihrer Ideen über ein Minimum an technischer Ausrüstung. Es geht also ausschließlich um Bewegungsideen, die sich auf einer kahlen Bühne dem Publikum vermitteln müssen, ohne nennenswerte Technik, hinter der sich die Choreografie „verstecken“ könnte. Das Leading Team von D.ID Dance Identity, Liz King und Max Biskup, brachte sich nicht nur als Produzent, sondern auch als Mentor bei der Stückentwicklung ein.
In diesem Setting gelangen Katharina Senk mit einem Science Fiction Dramolette über den Konflikt zwischen dem menschlichen Streben über sich hinauszuwachsen und der Sehnsucht nach gemeinschaftlicher Geborgenheit markante Akzent, etwa wenn eine schwere Kette auf eine Metallplatte donnert. Oder wenn sich die vier Cyborgs – von Kostümbildenerin Gera Graf mit mechanischen Körpererweiterungen ausgestattet – zu einem „Super[Human]“ zusammenfinden. Dann sind zwar ihre Superpower-Gliedmaßen vereint – man ahnt Gewaltiges. Doch der Preis dafür ist die Einbuße ihrer individuellen Bewegungsfreiheit. Da will Cyborg sich dann doch nicht von der Gruppe vereinnahmen und lieber die individuelle Macht spielen lassen. Mimik und Gestik des Generationen übergreifenden Ensembles aus Hugo Le Brigand, Laureen Drexler, Maartje Pasman und Harmen Tromp (übrigens ein Gründundsmitglied von Tanztheater Wien) lassen erkennen: diese Geschichte muss nicht unbedingt bierernst genommen werden.
Eva-Maria Schaller begibt sich mit ihren fabelhaften TänzerInnen (Katharina Illnar, Alberto Cisello, Emmy Steiner und Cindy Villemin) auf eine lautmalerische Bewegungsrecherche. „Sonic Texture“ ist ein fein gewebtes Bewegungstableau, in dem die TänzerInnen mit Bewegungen experimentieren, die von ihren stimmlichen Äußerungen initiiert werden. Stöhnend, seufzend, ächzend, wimmernd, atmend nähern sie sich an, um in einem Moment zu einem Chor zusammenzufinden – ein dramatischer Höhepunkt, der aber schnell wieder aufgelöst wird. Sprache verwendet nur Cindy Villemin, deren flüsterndes Französisch aber rein phonetisch eingesetzt wird. Die tänzerische Geräuschpoesie wird einfühlsam vom Sounddesign von Manuel Riegler unterstützt. Dennoch: „Sonic Texture“ ist eine abstrakte Arbeit, die auch vom Publikum volle Konzentration einfordert. Ein mehr an lichttechnischen Gestaltungsmöglichkeiten wie sie gegen Ende des Stückes zum Einsatz kam, würde den Impakt des Experiments sicher fördern.
Die Herausforderungen, die Vorteile und Grenzen des reduzierten Theatersettings ist für die jungen Choreografinnen wohl eine wertvolle, lehrreiche Erfahrung. Katharina Senk und Eva-Maria Schaller haben jedenfalls an diesem Abend Einblick in ihr choreografisches Geschick gegeben, ihre Ideen ausschließlich mit Tanz und Bewegung zu entwickeln.
Ihr natürlichen Tanzbewegungen gaben im Anschluss an die Performances jene unbegleiteten jugendlichen Flüchtlinge aus Rechnitz zum Besten, mit denen D.ID – Dance Identity als Partner im EU-Projekt „Migrant Bodies – moving borders“ im März dieses Jahres eine Woche lang gearbeitet hat. In Wien eröffneten die tanzfreudigen Burschen mit ihren Moves die Einladung zum Tanz an das Publikum.
D.ID Dance Identity: „Sonic Texture” von Eva-Maria Schaller und “Super[Human]” von Katharina Senk im Ankersaal der Anker Brotfabrik am 1. Dezember 2018.