Samurai und Wolken. Sasha Waltz, designierte Ko-Intendantin des Berliner Staatsballetts, hat nach zwölf Jahren wieder eine reine Tanzchoreographie für ihre Kompagnie gestaltet. 2017 wurde „Kreatur“ von Sasha Waltz & Guests im Berliner Radialsystem V uraufgeführt und war nun im Festspielhaus St. Pölten zu sehen.
Es ist ein dunkler, schwerfälliger Abend, in dem auf körperlicher Ebene große Themen wie Macht, Ohnmacht, Dominanz, Schwäche, Freiheit, Kontrolle, Gemeinschaft und Isolation verhandelt werden. Ein großer Part kommt dabei den spannenden Kostümen der niederländischen Mode-Designerin Iris van Herpen zu.
Diese haben naturgemäß großen Einfluss auf Choreographie und Bewegungen, sind sie doch allesamt aus Metall gearbeitet. Im ersten Bild sind alle TänzerInnen in ein weißes Mittelding zwischen Wolken, Wattebausch und Kokons gehüllt und tragen darunter nur hautfarbige Unterhosen. Das ergibt interessante Bilder hinter der grauen Rückwand, in einer kühlen Lichtstimmung von Urs Schönebaum. Allmählich entledigen sich die TänzerInnen der Kokons und es bilden sich wechselnde Gruppenformationen mit skulpturalen Zügen. Eine durchsichtige Folie, abwechselnd von TänzerInnen gehalten, zeigt interessante Körperperspektiven. Dann drängen sich alle auf eine Treppe hinauf, an deren oberem Ende kaum Platz für alle ist. Natürlich fallen einige hinunter und werden wieder heraufgeholt. Waltz spielt hier augenscheinlich mit Bildern, die man seit der Flüchtlingskrise kennt.
Die ersten zwanzig Minuten sind stark und dicht, doch dann macht sich zusehend Langeweile breit, aus der auch die folgenden Kostüme van Herpens nicht herausführen. Die TänzerInnen tragen dann Oberteile und Röcke, die das Körpergefühl bestimmt entscheiden beeinflussen. Hier sind keine geschmeidigen Bewegungen möglich, sondern kantig, scharf und präzise ausgeführte. Dann kommt die schwarze Kreatur ins Spiel, deren von einer Tänzerin getragenes Kostüm van Herpen „Samurai“ nennt und die wie ein überdimensionaler Igel wirkt. Konstruiert ist sie aus strahlenförmig angeordneten Regenschirmstangen.
Die Kreatur bedroht andere, kollaboriert, nimmt gefangen, lässt los, und das zieht sich so dahin, zeitweise von Schreien und gesprochenen Passagen begleitet, die eigentlich stören. Zu direkt werden so Bezüge konkreter Handlungsweisen hergestellt und verlieren so das Übergeordnete der allgemeinen Fragestellungen. Paare bilden sich, untersuchen einander erotisch, lassen wieder ab voneinander, doch alles wirkt trotz Nacktheit und körperlicher Nähe unsinnlich. Als Klangkulisse dient die elektronische Musik von Soundwalk Collective, die zum Schluss unterbrochen wird von einer Einspielung des Stöhn-Hits der Sechziger Jahre, Serge Gainsbourgs und Jane Birkins „Je t’aime, moi non plus“.
Im Unterschied zu ihrem meisterlichen Stück „Körper“ ist es Waltz hier nicht gelungen, Form und Inhalt in Kongruenz zu bringen. Es wirkt alles trotz des hochenergetischen Flusses der ausgezeichneten TänzerInnen zu bemüht, zu sehr gewollt, dann wieder zu plakativ und klischeehaft. Für diese großen philosophischen Themen braucht es augenscheinlich andere choreographische Lösungen.
Sasha Waltz: „Kreatur“ am 6. Dezember 2018 im Festspielhaus St. Pölten