„Handle with Care“ nennt das brut seine Reihe im Rahmen des imagetanz Festivals, die „works in progress“ eine Möglichkeit gibt, präsentiert zu werden. „protect“, eine dreiteilige Arbeit von Inge Gappmaier, war an zwei Abenden im Pavillon des Atelier Augarten zu sehen. Mit diesem „Duett mit sich selbst“ stellte sie geometrische Figuren, eine Outdoor-Sequenz und eine Untersuchung von Selbstbeschränkung vor.
Sie steht ruhig, verschränkt die Unterarme, bewegt dieses Quadrat. Auf leerer Bühne entwickelt Inge Gappmaier im ersten Teil, langsam und viel am Boden getanzt, sie wiegt sich auf allen Vieren vor und zurück, eine zunehmende Dynamik, nun auf den Beinen mit ausladenden, gestreckten und kreisenden Bewegungen, den Raum nutzend. Vom Kontemplativen in eine kontrollierte Gelöstheit.
Sitzend und ihren Rücken dem dicht gedrängten Publikum zugewandt, beobachtet sie im zweiten Teil mit uns gemeinsam eine auf die rückwärtige Leinwand projizierte Aufnahme eines in einer urbanen Brache getanzten Solos. Sie sieht sich, frei im Freien.
Im dritten Teil, eine erste Version war im Herbst bereits bei „Raw Matters“ zu sehen, steigt sie, am Boden sitzend, durch ihre wiederum verschränkten Unterarme, diese Bindung nicht aufgebend. Sie sucht nach Möglichkeiten, sich trotz der so erzeugten Behinderung zu bewegen. Es schmerzt geradezu, ihrem Kampf, auf die Füße zu kommen und sich schließlich auch wieder aus dieser Selbst-Umklammerung zu befreien, beizuwohnen. Und dann steht sie da, die Unterarme verschränkt ...
Ein sehr bemerkenswertes Detail im Verlauf dieser halbstündigen Performance erzeugte sie durch ihre Licht-Regie: Sie ließ von Boden-Scheinwerfern Schatten ihres tanzenden Körpers an die Seitenwände werfen. Natürlich, sie tanzt mit sich. Jedoch: Der Schatten, von C.G. Jung in die analytische Psychologie eingeführt, repräsentiert unbewusste Persönlichkeitsaspekte, die der Mensch zwar in sich trägt, mit denen er sich aber nicht identifiziert, weil sie dem bewussten, positiven Selbstbild und seiner vergesellschafteten Maske widersprechen. Inge Gappmaier öffnet die Augen, ganz.
Ihr Bewegungsmaterial reicht von konzentrierter Innenschau, von der Wahrnehmung ihrer selbst, Langsamkeit mit starkem Tonus, bis zum Expressiven, Freien und ihre Flexibilität Auskostenden. Inge Gappmaier ist mit der Individualität ihrer Formensprache und im Besonderen auch mit ihrem Engagement für jenseits der eigentlichen Tanzpraxis liegende Tanz- und Kunst-Themen eine Bereicherung für den österreichischen Tanz.
Ich wünsche mir von ihr (und bei weitem nicht nur von ihr) mehr Mut zu Arbeiten, die Emotionen deutlich mehr Raum geben und die unsere entsprechenden Rezeptoren adressieren. Sie hat das konzeptionelle und das tänzerische Potential dazu.
„protect“ von Inge Gappmaier im Rahmen der Reihe „Handle with Care“ des imagetanz Festivals Wien, am 16. und 17. März 2019 im brut, Pavillon des Atelier Augarten.