Kraftvoller Urban Dance um ein Wasserglas und die Geschichte der inneren Befreiung einer jungen Frau. Das Brick-5 präsentierte mit „Slowstepper – On The Edge Of Survival“ von Hygin Delimat und „The Home of Camila“ von Giorgia Gasparetto zwei Solo-Tanz-Performances, die, beide selbst choreografiert und getanzt, der Kampf um Selbstbehauptung verbindet.
„Slowstepper – On The Edge Of Survival“
Fünf niedrig aufgehängte Leuchtstoffröhren begrenzen seitlich die Bühne. In Kapuzenjacke und Trainingshose betritt Hygin Delimat die Szene, geht in den Handstand, schwingt sich durch die Arme in die Rückenlage, lässt weitere Urban-Dance-Elemente folgen, tanzt um ein Wasserglas in der Mitte, beginnt zu keuchen. Diese Sequenz wiederholt er, beschleunigt sie, bricht sie ab, leise begleitet von metallischem elektronischem Sound. Er nimmt das Wasserglas auf, verkrampft ein wenig verschüttend, stellt es an den Rand. Er entledigt sich der Jacke und der Hose, wie gegen ihr Sträuben kämpfend, und beginnt, nun nur mit einer Unterhose bekleidet, sehr langsame, akrobatische Bewegungen. Viel auf dem Kopf stehend, auf Arme und Füße gestützt zitiert er immer wieder Street-Dance-Moves, jedoch mit äußerst reduzierter Geschwindigkeit und unter Einsatz seiner beeindruckenden Körperkraft. Das Licht flackert, wechselt zur Seite, nach hinten. Der Schweiß fließt in Strömen, sein Atmen ist unhörbar. Am Ende beugt er sich ruhig über das Wasserglas, dem Leben mit all seinen Ressourcen nun viel näher, erhebt sich entspannt und geht ab.
Hygin Delimat ist gebürtiger Pole und absolvierte an der Bruckner-Universität Linz Ausbildungen in Movement Research und Tanz-Pädagogik. Er beschreibt in dieser Arbeit mit beeindruckender Physikalität und Virtuosität die Überwindung von innerer Schwäche, Verletzlichkeit und Schmerz. Ein Überleben trotz … Aus der Konfrontation mit Widerständen im Innern und im Äußeren erwachsen Hoffnung, Kraft und Schönheit. Seine Genauigkeit und seine von Expressivität und körperlichem Potential geprägte tänzerische Ästhetik fesseln.
„The Home of Camila“
Nach der Pause liegt auf der Bühne ein grüner Teppich, darauf ein Tischchen mit einem Bilderrahmen. Giorgia Gasparetto, brav gekleidet in ein dunkles Kleid und „Old-Style-Schuhe“ (Kostüm- und Lichtdesign von Santo Pablo Krappmann), betritt die Bühne, parallel geben die sich öffnenden Rollos die großen Fenster und damit den Blick von außen auf die Bühne frei. Die Tänzerin sucht Blick-Kontakt zu jedem Einzelnen im Publikum, wir werden spürbar hineingezogen in die Szenerie. Sanfte Bewegungen, zerhackt von kurzem Zucken, Schütteln. Der Sound ebenso. Und immer wieder schaut sie auf das Bild, das, als sie einmal kurz das Tischchen dreht, auch für uns sicht-, aber kaum erkennbar wird. Eine stehende Person in schwarz-weiß, ein altes Foto offenbar. Ihr Stand wird unsicher, die Füße knicken um, sie zieht Schuhe und Kleid aus, verlässt im weißen Unterkleid ihr Heim und tanzt, immer seltener gebrochen und sich die Bühne erobernd, nun zu harmonischer Gitarren-Musik. Sie zuckt mit Schultern und Brust wie im Lachen oder Weinen, sie öffnet ihren Körper, sie tanzt die ihrer selbst bewusste, friedvolle, lebendige Frau. Am Ende nimmt sie das Foto, ihren Anker, aus dem Rahmen und geht.
Viel Raum gebend für Selbst-Reflexion ist „The Home of Camila“ die Geschichte einer Befreiung. Die Überwindung selbstsabotierender Gedanken, Gefühle und Überzeugungen gibt den Weg frei zu unbekannten Orten, die Erfahrung und Wachstum ermöglichen. Giorgia Gasparetto, in Italien geborene und 2018 am S.E.A.D- Salzburg graduierte Tänzerin, überzeugt mit und in dieser Arbeit durch ihre Präsenz und die Sicherheit, mit der sie diese tänzerisch anspruchsvolle, konzentrierte Choreografie präsentiert.
„Slowstepper – On The Edge Of Survival“ von und mit Hygin Delimat und „The Home of Camila“ von und mit Giorgia Gasparetto am 7. und 8. März 2019 im Brick-5 Wien.