Die Vernichtung eines Genies. Mit „Kein Groschen Brecht“ präsentiert die hinreißende Tamara Stern im Off-Theater Wien eine Sicht auf den deutschen Dramatiker, Lyriker und Librettisten Bert Brecht, die, vor allem aus der Perspektive seiner Liebschaften und Frauen, kaum ein gerades Haar an seiner Person, an der Entstehungsgeschichte seiner Werke und der Ideologie, der er zeitlebens diente, lässt.
Schwarz ist die Bühne, wie ein Trichter die Vorhänge, saugen sie am Zuschauer. Nur ein Stuhl steht links am Stoff. Rechts außen das Klavier, gerahmt von Synthesizer und Notebook. Elise Mory an den Tasten ist die Erste, sie eröffnet elektronisch. Durch das textile Eck ganz hinten zwängt sich Tamara Stern im schwarzen Kleid, mit riesigen dunklen Augenringen und einer Zigarre um den Hals gehängt. Mackie Messer, die Zähne beißen zu auf den schwarzen Leinwänden hinter ihr, zieht uns sofort in die Welt des B. B.
Bi nennt er sie und Bess, die Tamara Stern da einführt, die Maorie-Frau, Ruth, Grete und natürlich Helli (die große Helene Weigel), die vielen, oft parallelen Liebschaften, teils geschwängert, jede aber „die größte Liebe seines Lebens“, der er, der junge arrogante Brecht, der sich besser als Goethe, Schiller und Klopstock zusammen wähnte („Auch die Ungeborenen reißen sich um mich!“), Gedichte widmete.
Beim „Mond über Soho“ fällt der Schnee über die schwarze Leinwand. Und sie liebt ihn trotzdem, trotz seines Gestanks, seiner Unreinheit und Selbstzentriertheit. Sie trägt Verantwortung für ihn. „Auf einen Schlag war ich ich!“ Sie empfindet Mitleid und Hass zugleich, ist ihm verfallen, hörig sexuell. Und sie sagt „Nein!“, und einmal nicht. Der weiße Vorhang auf dem schwarzen hinten geht auf und zu und auf und zu.
Im langen Ledermantel nun zerrt Tamara Stern einen Tisch auf die Bühne, ganz langsam, das Schurren der Beine auf dem Boden zelebrierend. Das ist der Tisch. Das war die Brecht-Werkstatt, wo seine Frauen arbeiteten, wo sie gebraucht und benutzt wurden, wo sie für ihn schrieben und forschten, das schufen, das seines wurde, mit dem er sich rühmte. Benutzt hat er sie alle, namenlos geworden zu Brecht. „Ihr seht immer nur den Träumer, nicht den Realisten, ihr seht den Liebenden, nicht den Süchtigen.“ Und Weill musste gute Musik schreiben, denn die braucht weniger gute Worte … Erfolg verleiht das Recht, so schlecht zu bleiben, wie man ist. Und die Frauen waren es, die den Karren weg von den Nazis ins Exil zogen.
„Ein WIR kennst du nicht!“, wirft sie ihm, dem hier ständig ab-, doch anwesenden Phantom vor. „Du kannst ja gehen.“ „Also blieb ich. Das machte mich stark. Weil ich es ja wollte!“ Und Tränen fließen. Wow! Doch, wieder zu Hause, zurück aus dem Exil, ging sie fort von ihm, und quält sich aus dem Mantel.
Die auf umfangreichen Recherchen basierenden Texte von Ernst Kurt Weigel, der zudem einfühlsam Regie führte und die Bühnengestaltung verantwortet, sprechen mit viel Humor gewürzt von seinem abgrundtiefen Humanismus und lassen ein desillusionierendes und entlarvendes Bild des Bertold Brecht und der kommunistischen Ideale, denen er verfallen war, entstehen.
Der Kommunist und Poet Brecht wir uns hier als empathieloser, formalistischer, despotischer Egomane vorgeführt, anziehend und abstoßend zugleich, mit unerträglich übersteigertem Selbstwertgefühl, unfähig zu Gefühlen, ja diese verachtend. Und auf metaphorische Weise wird damit auch das zwingende Scheitern der kommunistischen Idee begründet. Pars pro toto.
Entzaubert werden Mensch und Mythos, kaltes Denken wird verdammt. „Denken soll der Zuschauer, nicht fühlen!“. Aber die Anderen haben geliebt. „Marxisten sind denkende Staatsverbrecher, die, ohne Gefühl, an der eigenen Dummheit festhalten. Ein vergebener Dienst an den Arbeitermassen, wie der Frauen der Dienst an der Liebe. Kein Groschen Brecht!“
Die Musik wird am akustischen Piano und elektronisch per Synthesizer live gespielt von der wundervollen Elise Mory, die mit einigen verbalen Einwürfen auch zum Counterpart von Tamara Stern wird. Die Arrangements der vielen dargebotenen Lieder von Brecht und Weill stammen von Imre LB. Sie basieren großenteils auf der Musik Kurt Weills, brechen und verfremden diese jedoch und führen uns sensibel und sehr geschickt mal tief in die Welt des B. B., mal in die Außensicht. Die Visuals von Eni Brandner auf den schwarzen Vorhängen drängen sich nicht auf, runden jedoch feinfühlig das Bild.
Und natürlich Tamara Stern, die die 70 Minuten beinahe ununterbrochen singt, mit ihrem auch komödiantischen Talent redet und lamentiert, lacht und auch weint, uns tief mit hinein nimmt in die wechselvollen Gefühls- und Gedanken-Welten der Frauen um Brecht, uns deren Leiden spüren lässt. Sie übertrifft hier ihre großartigen Leistungen in „Lola Blau“ und „Ich Zarah“ (tanz.at berichtete) nochmals, was vom begeisterten Premieren-Publikum im ausverkauften Haus mit frenetischen Beifall honoriert wurde.
„Kein Groschen Brecht“ im Off-Theater Wien, Premiere am 24. April, weitere Vorstellungen am 3., 4., 5., 7. und 14. Mai 2019.