Mussorgsky's „Bilder einer Ausstellung“ und die Erforschung der Mensch-Maschine-Polarität: Wie geht das zusammen? Die Pianistin Clara Frühstück nutzt in ihrer jüngsten Arbeit, der konzertanten Performance „Raue Einstellungsbilder – Reloaded“, das kompositorische Material des 1874 entstandenen Klavierzyklus‘, um daraus einen Dialog, beinahe Wettstreit mit einem selbst spielenden Klavier und Elektronik zu entwickeln. Das Ergebnis ist eine audio-visuelle Köstlichkeit.
Schon vor Beginn durchstreift ein junger Mann mit einem Lautsprecher in der Tasche die Wartenden und beschallt sie mit dem bekanntesten Thema der „Bilder einer Ausstellung“. Erst mit dem verlöschenden Saallicht erstirbt dieser Klang. 58 bunte Streifen verlängern die weißen Tasten des Bösendorfer-Flügels bis weit auf den Boden. Und nur das Geräusch klappernder Tasten begleitet die Wellenbewegung im Streifen-Vorhang. Das Disklavier im Muting-Modus.
Clara Frühstück betritt die sehr dunkel gehaltene Bühne, gestaltet vom Medienkünstler und Musiker Samuel Schaab, der auch die Live-Elektronik bedient. Sie spielt im Stehen gemeinsam mit dem programmierten Selbstspieler, reißt die Streifen von den Tasten. Eine kaltweiße LED-Lichtleiste gibt schwaches Licht. So beginnt der Streifzug durch unsere inneren Ausstellungsräume. Die durch das Ausloten der akustischen Möglichkeiten dieses programmierbaren Klaviers und elektronischer Effekte provozierten visuellen Assoziationen lassen anders, neu gesehene Bilder entstehen, und das nicht immer nur bierernst gemeint.
Fesselnd bis zum letzten Augenblick bleibt die Performance auch wegen des Charakters der meist neu interpretierten und arrangierten Musikstücke: von verträumt bis äußerst kraftvoll, von getragen bis Hochgeschwindigkeits-Staccato, von träumerisch bis extrem dynamisch, von Pianissimo bis Fortissimo.
„Are you human“ steht auf dem demontierten Deckel des Flügels. Und mit dem Paukenschlägel darauf hämmernd ruft sie anagrammatischen Text, basierend auf den „Bildern jener Ausstellung“, auf, projiziert auf die Rückwand. Später entschwindet so etwas wie ein sich drehender Meteorit aus der Nahaufnahme langsam ins Dunkel des Alls. Und ein verblüffend ähnlicher Stein dient dann als Permanent-Niederhalter für die Pedale …
Und diese andere Ebene, die Befragung des posthumanen Menschen durchwebt und beschließt letztlich auch die Performance. Am Ende erkundigt sich eine verfremdete Stimme beim Publikum: „Are you a human? Are you a machine? You are not a machine?“
Das multimedial-transformatorische Konzept, das harmonische Zusammenspiel der beiden Akteure und insbesondere Clara Frühstück in den live gespielten Passagen, mit ihrer Virtuosität und der Bandbreite ihrer Artikulation, zwischen äußerst gefühlvoll und beinahe brachialem Duktus beeindrucken – ebenso wie die Sound und Lichteffekte. Manches scheint zu sehr aus jenem „weil es möglich ist“ zu kommen. Die Pianistin lässt, wiewohl unaufdringlich, durchscheinen, wozu sie in der Lage ist.
Diese noch in Entwicklung befindliche Arbeit erhielt von Karl Regensburger eine Residency bei ImPulsTanz. Zwei Showings außerhalb des Programmes sind vorgesehen. Man darf gespannt sein auf das Resultat, denn schon diese hier vorgestellte „Skizze I“ schlägt ein.
Clara Frühstück: „Raue Einstellungsbilder - Reloaded“, aufgeführt am 05. Juni 2019 im Muth.