Nach längerer Zeit hat die Wiener Staatsoper wieder die Bühne für die Ballettakademie frei gegeben. Der zweite Akt der „Puppenfee“, „Mozartiana 2019“ und „Bolero“ standen auf dem Programm. Die jungen Tänzerinnen und Tänzer waren diszipliniert und freudvoll bei der Sache. Die Musiken von Josef Bayer, Mozart und Ravel kamen allerdings nicht aus dem Orchestergraben, sondern vom Band.
Wie hoch ist der Stellenwert der Ballettakademie an der Wiener Staatsoper tatsächlich? Trotz Beteuerungen des Hauschefs Dominique Meyer und des Ballettdirektors Manuel Legris über deren Wertschätzung für die Akademie und deren de facto Leiterin Simona Noja wurden die Auftritte nach und nach abgespeckt.
Funkelte bei der ersten Matinee der Direktion Meyer/Legris/Noja noch alles prächtig, so wurde nach und nach abgespeckt. Als erstes wurde das Orchester gestrichen und Pariser Eleganz (wie in „Concerto en Ré“ von Claude Bessy, tanz.at berichtete) durch sowjetischen Kitsch (etwa „Cipollino“) ersetzt. Schließlich wurden die Aufführungen der Ballettakademie ins „Hinterstübchen“ verbannt, sprich: zuerst ins Zelt auf dem Dach der Wiener Staatsoper und dann in die Walfischgasse. Beide Locations waren für den Tanz denkbar ungeeignet. Einmal reichte es fürs MuTh. Werke von maßgeblichen ChoreografInnen kann man sich in Wien nicht leisten. Die Schule, pardon, Akademie, ist seit Jahrzehnten notorisch unterfinanziert. Das erschwert freilich auch das Engagement von qualifizierten PädagogInnen.
Das alles war lange bevor Testimonials über Übergriffe und Misshandlungen in der Schule öffentlich wurden, die nun durch eine Sonderkommission untersucht werden. Doch das Direktorium verteidigt noch immer den „Drill“ als ballettimmanente Tugend. Ein Eingestehen von Fehlern oder eine Entschuldigung bei den Betroffenen blieb bislang aus. Der Duden allerdings erklärt Drill so: „geistloses mechanisches Einüben von Fertigkeiten beim Militär“. All das kann für die Kunst nicht gut sein.
Die Matinee 2019
Die diesjährige Matinee gerierte sich eher bescheiden und zurückhaltend. Man verzichtete auf virtuose Show-Offs, dafür feierte man 150 Jahre Ballett an der Wiener Staatsoper mit einer Einstudierung des zweiten Aktes aus „Die Puppenfee“ von Josef Hassreiter. Mit seinen bunten Kostümen ist das Ballett eine Übung in Ensembleformationen für alle Schulstufen, der Nachwuchs defilierte artig. Der Name der Tänzerin, die die Trommlerin so tapfer, fehlerfrei und lächelnd interpretierte, war leider im Programmheft nicht erwähnt. Das Bild der Frau als süße Puppe oder herziges Häschen in diesem Ballett aus dem Jahre 1888 ist heute durchaus fragwürdig. Immerhin wurde es von den „Bunnies“ des „Playboy“-Erfinder Hugh Hefner übernommen … Aber gut, „Die Puppenfee“ ist nun mal auch Wiens erfolgreichstes, choreografisches Erbe.
Sensibilität für das Gender-Thema zeigte einzig die Jazz-Lehrerin Carole Alston mit ihrer flotten Choreografie im zweiten Teil der Matinee. Statt Hasenohren trugen die Tänzerinnen bunte Federn im Haar und deuteten gestisch die Blume an - ein Schalk, wer darin eine Art „Puppenfee reloaded“ erkennt. Ansonsten optierte man bei „Mozartiana 2019“ für eine Aneinanderreihung von Kurzstücken, die die LehrerInnen der jeweiligen Klassen zusammengestellt haben, vorwiegend sehr klassisch, einmal historisch, einmal modern und einmal jazzig. Ein übergeordnetes choreografisches Konzept gab es dabei nicht. Die Nummernrevue geriet zu einer einstündigen Demonstration des Lehrplans, die die Kinder und Jugendlichen sauber und brav ausführten. Humor, wohl inspiriert von Jerome Robbins‘ „The Concert“, erlaubte sich nur die 8. Klasse, die ihre Choreografie selbst kreiert hatte. Eine bemerkenswerte Teamarbeit, die geschickt und kurzweilig Kleingruppen, Duos und Ensemble in Szene setzte, auf solistische Bravourstücke weitgehend verzichtete und doch technisches Knowhow zeigte.
Den Abschluss des langen Dreiteilers bildete Peter Breuers „Bolero“ zur aufheizenden Musik von Maurice Ravel. Die Choreografie war an die jungen TänzerInnen angepasst, es ging um den Rhythmus und nicht um die bei diesem Stück üblichen sexuellen Konnotationen. Effektive Gruppenszenen alternieren mit kleinen solistischen Einlagen. Bei diesen zeigte sich allerdings, wie einseitig klassisch in Wien trainiert werden. Breuer, der den neoklassischen Bewegungskanon nur selten durchbricht, baute hier einige Ganzkörperbewegungen ein, die den TänzerInnen fremd sind. Der aufrechte Oberkörper wird ihnen zum Fluch, ihre „contractions“ kommen nicht aus der Mitte, sondern sind Krümmungen des oberen Rückens und der Schultern. Auch stilistisch hat diese Ballettakademie also Reformbedarf.
Simona Noja wurde jedoch von den LehrerInnen der Akademie und vom Ballettchef mit Blumen und euphorischem Zuspruch gefeiert. Ein rührendes Bild der Solidarität bot sich hier dem Publikum, unter dem angeblich auch der „Neue“, Martin Schläpfer, war.
Matinee der Ballettakademie der Wiener Staatsoper am 23. Juni 2019 in der Wiener Staatsoper