„Attrape-moi“ nennen die sechs kanadischen Künstler ihr Programm und skizzieren mit der Aufforderung „fang mich“ ihren atmosphärischen, spielerisch-dynamischen Rahmen. Gleichzeitig steckt in dieser Vorgabe der Wunsch erreicht zu werden, einen Austausch zu ermöglichen, Kommunikation aufzubauen. Und genau das zählt zu den Grundgedanken und Intentionen von La Strada seit nunmehr 20 Jahren:
Die Vielfalt der Kunst mit der Vielfältigkeit des Lebens in Verbindung zu bringen, mit dem Potential differenzierter menschlicher Bewegung andere und anderes zu bewegen. Also mit Menschen wie auch Orten in individuellen Kontakt zu treten und damit Neues zu eröffnen, bislang unentdeckte Perspektiven und damit ungenützte Möglichkeiten des Denkens und Agierens kennenzulernen und zu initiieren.
Mit den Mitteln von Bewegungs-, Musik-, Figuren- Objekt- und Tanztheater bietet La Strada künstlerische Annäherungen in Form von Performances und Workshops, von interaktiven Produktionen bis zu Community Art. In 99 Veranstaltungen sind 23 Produktionen zu sehen, davon 76 Aufführungen bei freiem Eintritt.
Die Zugänge sind oftmals bewusst niederschwellig gehalten. So auch in der auf traditionellem Zirkus basierenden gut einstündige Eröffnungsproduktion „Attrape-moi“, wo vorerst mit einfachen Gesten der ‚andere‘ gesucht wird: der Bühnen-Partner und - Freund sowie der Zuschauer: „Where are you“ wird auf den Bühnenhintergrund geschrieben, während Künstler und Zuschauer einander über die 4. Wand und auf der Bühne „konkret“, im Wiedersehens-Taumel artistisch blödelnd, näherkommen. Cirque Nouveau-Qualitäten blitzen aber doch noch so rechtzeitig auf, dass auch anspruchsvolle Zuseher bei der Hand genommen werden; respektive bei den Ohren, wenn in einer ersten Szene dieser Art mit einfachsten Mitteln Live-Musik gemacht wird; zur (noch) relativ einfach gestrickten Bodenakrobatik. Aber da ist bereits zu spüren, wie jedes Detail punktgenau sitzt. Und das mit nahezu explosiver Bewegungs- und Darstellungsfreude. Das reißt mit und lässt wohl kaum einen im Publikum des vollbesetzten Opernhauses bis zum Ende der gut einstündigen Vorstellung noch einmal los.
Bruno Gagnon, der künstlerische Direktor der FLIP Fabrique, führt die außergewöhnliche Lebendigkeit der Darstellung, die nicht nur Brücken zum Publikum baut, sondern wunderbar heiter unter die Haut geht, auf die kreative Freiheit, die der zeitgenössische Zirkus bietet, zurück. Basierend auf perfekter Beherrschung traditioneller Techniken könne jeder Künstler ohne übergestülptes Rollenklischee er selbst bleiben und sein; seine Individualität und sein Können präsentieren und entsprechend geradlinig und zielsicher vermitteln.
Auch wenn sich strenggenommen einzelne „Nummern“ aneinanderreihen: Sie sind aufgefädelt auf einem schwebenden, glitzernden roten Faden, der einen stimmigen Anfang wie ein ebensolches Ende hat. Und sie sind wohlüberlegt aufgebaut, in choreographischem Miteinander und Fluss, im eckenlosen Nacheinander arrangiert.
Beispielhaft das technisch - neben anderen - herausragende Diabolo-Solo, bei dem wohl so manch Zuschauermund offenstand. Die fünf anderen kreieren mit Klappsesseln während dieses Auftritts ein variationsreiches, „verschiebbares“ Bühnenbild: nicht, dass diese Darbietung Ergänzendes nötig hätte – aber dieses diskrete Formen- und Linien-spiel im Hintergrund rundet das Bild des „einsamen“ Solisten auf der großen Bühne wunderbar einfühlsam ab.
Schon einmal etwas von der poetischen Kraft des Hula-Hoop-Reifens gehört? Dann schauen Sie sich das bitte an; das, was die (einzige) Dame in diesem Team ausgehend von ihrem Körper und dessen Beweglichkeit in die Luft zu zaubern versteht. Mit einem oder auch sechs (?) Reifen – zum Zählen bleibt nicht wirklich Zeit. Ihr Umgang mit diesen einfachen runden Gebilden ist von einer geradezu berauschenden Zärtlichkeit; ebenso wie von nahezu aufpeitschendem Temperament.
Schon einmal Gedanken, Erinnerungen „konkret“ fliegen gesehen? Dann schauen Sie sich … : Fünf der (Bühnen-) Freunde blättern ganz alltäglich-banal im Foto-Album. Beim Beobachten tauchen auch beim Zuseher eigene, individuelle Assoziationen auf. Und dann purzeln, schweben diese diffusen Gedanken doch wahrhaftig und scheinbar ungeregelt, ungebremst, zielgerichtet und dann wieder ohne dieses über den Köpfen der Blätternden, Schauenden, Erinnernden und … nahezu auch über dem eigenen durch die Luft: Faszinierend, diese akrobatisch äußerst hochwertige Verbildlichung an den Sangles aériennes Aerial straps, an den Luftgurten, wie die Geräte-Bezeichnung recht bildhaft übersetzt werden könnte.
FLIP Fabrique „Attrape-moi“ am 26. Juli 2019 im Opernhaus Graz. Weitere Vorstellungen am 30. & 31. Juli sowie am 1. August.
La Strada Graz läuft noch bis 3. August