Die Vielfalt, die der Neue Zirkus durch seine offene Kombination aus Akrobatik, Schauspielkunst, Bewegungstheater, Tanz und anderem anbieten kann, ist von nahezu unbegrenzter Gestaltungs-Freiheit und -Möglichkeit; somit eine Kunst, die Menschen unterschiedlichster Interessen anspricht und begeistert. Diese Tatsache nützt La Strada, um mit divergierenden Programmen dieser Sparte viele zu erreichen und mit zeitgenössischer Kunst zu konfrontieren.
Zwei dieser Angebote gab es beim Festival La Strada am Hauptplatz, bei freiem Eintritt zu erleben – und die Grazer nützten sie in Scharen. Und davor gastierte Circus Ronaldo im Messepark.
Gravity & Other Myths
Die Gruppe „Gravity & Other Myths“ ist so manchem von deren Auftritten im Orpheum bereits in bester Erinnerung; outdoor präsentierten sie sich zum ersten Mal. Wiederum auf kleiner, vom Publikum eng umkreister, ungeschmückter Bühne. Dass die Programmgestaltung und Ausführung den Straßenbedingungen angepasst sein mussten, war diesen versierten Profis bewusst: Das ganz Leise, Feine und Kleine hatte hier einem etwas kräftiger Akzentuiertem Platz zu machen. Einer, diese Bewegungskünstler aber nichtsdestoweniger charakterisierenden Luftigkeit und scheinbaren Schwerelosigkeit in unzähligen gesprungenen, getragenen, geflogenen, geschleuderten und aufgefangenen Variationen. Eingebettet in einer geradezu kindlich-lebensfrohen Natürlichkeit und Freude bei ihrem Tun, bei dem diese 7 Ausnahmeakrobaten sich aber auch nicht scheuen, ab und zu ihr angestrengtes Atmen hören oder ihr hin und wieder kurzes Zögern sehen zu lassen; dies gilt auch für ihren Ärger, wenn ausnahmsweise einmal etwas nicht perfekt gelingt und sie es dann voller Elan nochmals – und selbstverständlich hundertprozentig – wiederholen. Bei all diesen, ihren erlebbaren körperlichen Grenzgängen oder auch Überschreitungen ist die Atmosphäre eine von spielerischer Leichtigkeit geprägte. In diesem Straßenprogramm, „A Simple Space“, auch noch unterstrichen von unaufgesetzten, heiter-amüsanten kleinen Sequenzen zwischendurch zum Atemholen – gleichermaßen notwendig für die KünstlerInnen wie für die Zuschauer.
Les filles du renard pâle
Ganz anders die Vermittlungsart der Solistin Johanne Humblet von Les filles du renard pâle in ihrem Programm „Résiste“ auf dem Hochseil. Von höchster internationaler Qualität auch sie, das ist keine Frage. Aber abgesehen von der Notwendigkeit eines gewissen Technik-Einsatzes bei ihrem Auftritt, verwendet sie nicht nur kleine Showeffekte, sondern nützt auch die Technik (die Veränderung des Seilwinkels oder seiner Höhe über dem Boden) effektvoll für ihr akrobatisches Tun. Und vor allem (sowie im markanten Unterschied zum eingangs Geschilderten): Sie spielt bewusst und dramaturgisch wohlüberlegt eingesetzt mit den Erwartungen und Emotionen des Publikums. So „erklimmt“ sie etwa ihr Seil nur mit größter Angespanntheit und (vorgegebener) Mühe erst nach knapp 10 Minuten, in deren Ablauf sie kurz vor Zielerreichung schon auch einmal „abstürzt“. Sie weiß, dass das Publikum solch Nervenkitzel durchaus auch schätzt und setzt diese Form der (geplanten) Schrecksekunde auch später nochmals ein. Zusätzlich brilliert sie allerdings auch atemberaubend mit ungewöhnlichen Ideen, um ihr Können in innovative Bewegungsbilder zu rücken.
Grundsätzlich ist ihr unglaubliches Agieren Dank extremer Körperbeherrschung und ebensolchem Gleichgewichtssinn getragen von Ernsthaftigkeit, ja geradezu von konzentrierter Würde. Entsprechend angespannt-aufmerksam ist das Publikum und ist die nahezu absolute Ruhe auf dem dichtgedrängt gefüllten Platz geradezu ein weiteres Erlebnis für sich.
Circus Ronaldo
Eine Klasse für sich ist Danny Ronaldo, der Zirkus-Clown, wenn er, entsprechend der über Generationen laufenden Familien-Tradition, im tiefsten Inneren und mit bezaubernd-zurückhaltendem Zirkus-Vokabular der althergebrachten Formensprache seiner Zunft seine Referenz erweist. Und weil er viel zu erzählen und so manches zu sagen hat, geschieht dies in Form eines zeitgenössischen, tiefgängigen Plots. In Form einer nahezu minimalistischen, melancholischen-humorvollen, letztlich freilich hochdramatischen Geschichte über das, was im Zirkus war und was gleichermaßen in vielerlei Hinsicht ganz allgemein Allgegenwärtiges ist: über die Vergänglichkeit.
Leise und unspektakulär spielt er auf den vielfältigen Tasten der Emotionalität; seiner eigenen und der seines Publikums. Eines, das dank Ronaldos sensiblem gestisch-mimischem Können vom ersten Augenblick an seine nonverbale, also körperliche Kommunikationsart begreift und wirken lässt. Das, was zwischen Lachen und Tränen zutiefst Menschliches ausmacht kommt in diesem traditionellen Zirkuszelt anhand kleiner und kleinster Szenen zeitgemäß zum Schwingen und zum Leuchten.
Gravity & Other Myths, 29. Juli 2019, Hauptplatz Graz; Circus Ronaldo, 27. Juli 2019, Zelt im Messepark; Les filles du renard pâle, 3.August 2019, Hauptplatz Graz im Rahmen von La Strada