Das brut eröffnete die Saison in der Seestadt Aspern mit einer einzigartigen Outdoor-Performance. „Diorama“, eine von der norwegischen Choreografin Ingri Fiksdal in die Landschaft am Asperner See gestellte performative Installation, lud an zwei Spätnachmittagen dazu ein, im Lichte der tiefstehenden Sonne seine eigene Wahrnehmung von Zeit, Raum, Bewegung und Klang anders, vielleicht auch neu zu erleben.
Amorphe Gebilde liegen in der Landschaft am See, sogar auf einer kleinen Insel, wie Blasen oder unförmige Ballons. Vielfarbig glitzern und glänzen die Stoffe, die diese unförmigen, unbeweglichen, wie Fremdkörper auf die Erde und das Wasser gefallenen Objekte ein- und umhüllen. Elektronischer Sound legt sich wie ein Klangteppich auf den See, und nach langer Zeit, nur ganz langsam, beginnt sich etwas zu bewegen.
Behutsam dividieren sie sich auseinander in einzelne Organismen. Irgendwann ragen Spitzen, gold- und silberglänzend stoffumhüllt, in den Himmel, um langsam dann in runde Formen sich zu wandeln. Und die Bewegung verebbt. Wie Monolithen liegen sie im Gras und an der Uferböschung.
Sound und Klang (von Jenny Hval und Lasse Marhaug) sind wesentlich für das Erleben. Von der wabernden Fläche zum rhythmischen, mit unverständlichem Geflüster durchsetzten Textur in polyphone Frauenstimmen fließend, dann bass-betont im Terz-Abstand mit Elektronik oben drauf. Es endet, als alles schon seit Zeiten ruht, mit einer sanften Explosion.
Was macht das mit dem Zuschauer? Mit der Konzentration auf das stark entschleunigte „Bühnen“-Geschehen werden die in diesem Setting nicht nur nicht zu vermeidenden, sondern als notwendiger Teil der Performance ungeplant mitspielenden urbanen Begebnisse sehr viel anders wahrgenommen. Ein Spaziergänger erscheint wie ein Rasender, das Geräusch der im Hintergrund einfahrenden U-Bahn wie Maschinengewehr-Feuer, das Knirschen des Schotters unter den Schuhsohlen eines Passanten schmerzt geradezu.
Zwischen Totem und Lebendigem, Anorganischem und Organischem, alienhaft das Visuelle. Es entsteht ein faszinierendes Spiel mit der Wahrnehmung von Zeit und Geschwindigkeit, von Klang und Geräusch, Ruhe und Bewegung. Meditativ, kontemplativ. Durch die Fokussierung der Aufmerksamkeit relativieren sich für uns selbstverständliche optische und akustische Reize. Und immer: Achte auf die Ränder!
Ingri Fiksdal war nach „Night Tripper“ (2013) und „HOODS“ (imagetanz 2015) das dritte Mal im brut zu Gast. In „Diorama“, das bereits an 13 Orten weltweit am Wasser und in einer Stadt-Version aufgeführt wurde, arbeitet sie mit fünf „importierten“ und sieben lokalen PerformerInnen zusammen.
Die Vorbereitung und Begleitung der Performance durch das brut-Team mit dem Aufstellen von Bierbänken, dem Bereitstellen von isolierenden Sitzunterlagen, Decken und heißem Tee schwächte den störenden Einfluss der Elemente an diesen frischen und windigen Tagen auf die Zuschauenden ab.
Das brut, nun bereits die dritte Spielzeit wegen der andauernden Renovierung seines Haupthauses am Karlsplatz zu nomadischem Leben gezwungen, hat wieder einmal eine Location erschlossen, die nicht nur die Bühne für die Präsentation einer außergewöhnlichen Outdoor-Performance hergab, sondern im Rahmen der vorgeschalteten Einführung zu „Diorama“ (Eva Wolfesberger, brut, und Nicole Schuchardt, Produktion Ingri Fiksdal) auch Gelegenheit bot, alternative, in der Seestadt umgesetzte Wohnkonzepte kennenzulernen.
„Diorama“ von Ingri Fiksdal im Brut Wien, Asperner See in der Seestadt Aspern am 05. und 06. Oktober 2019.