Schöne Bescherung. Inmitten von Maries Geburtstagsfeier tanzt sich der als Ehrengast geladene Ballettmeister Drosselmeier in einen Vorzeigefuror sondergleichen. Schon dies schrittgewaltig bei Denis Viera. Seit der noch bis 2. Januar laufenden Aufführungsserie erfreut das Publikum neben Alexey Popov nun auch der gebürtige Brasilianer in dieser charmant-spleenigen, technisch hochgradig kniffeligen Partie. Viera scheint vollends darin aufzugehen. Ein bereichernder Neuzugang für die Münchner Kompanie.
Auf einer Jungmädchen-Party, zu der Maries Bruder Fritz (Ariel Merkuri) seine Kadettenfreunde hinzu gebeten hat, kann das mit dem manierierten Drosselmeier nicht gut gehen. Günther, Anführer der Kadetten, bringt den eitlen Sprungkünstler gar zu Fall. Mit zahlreichen Kombinationen von Pirouetten versetzt, macht Osiel Gouneo, der die Tours en l’air gelegentlich sogar dreifach gedreht springt und zudem auf pantherleisen Sohlen unterwegs ist, daraus eine Paraderolle. Für Maria Baranova wird er im Traum zum sympathietragenden Nussknacker-Prinzen. Seit dieser Spielzeit ist die Finnin neue erste Solistin in München und nun erstmals als bewegungsübermütige Marie auf der Bühne des Nationaltheaters zu erleben.
Vieira mischt als toller Tänzer – noch ist er „nur“ Solist – und ab dem zweiten Bild visionärer Hofopern-Choreograf im Stil von Marius Petipa eine leicht verstaubte Gesellschaft lustig auf. Maries Vater Stahlbaum vergräbt sich währenddessen – nicht minder eigenbrötlerisch – im Sessel hinter seinen Büchern. Immerhin wird Drosselmeiers leidenschaftliche Hingabe an den klassischen Tanz von seiner stets überaus anmutigen Meisterelevin Louise unterstützt.
In dieser Partie weiß sich Virna Toppi gleich bei ihrem Debüt ausgezeichnet als älteres Vorbild und bezaubernde Primaballerina – ganz ohne Starallüren – zu präsentieren. Eine solche ist sie ja auch im richtigen Leben. Der neuen Solistenriege des Bayerischen Staatsballetts gehört sie ebenfalls seit Saisonbeginn an.
Wie gut die humorvollen Spielszenen und das durch Neugier angestachelte enge Miteinander zwischen Marie und Drosselmeier funktionieren, erweist sich an den spontanen Reaktionen der vielen Kinder unter den Zuschauern. Auch wenn in John Neumeiers „Nussknacker“-Adaption der übliche Weihnachtsbaum fehlt. Manche menschlichen Tücken und Charakterschwächen, wie man sie angesichts familienseliger Feiertage zurecht fürchtet und kennt, werden in dieser Version aber deutlich sichtbar. Und bekanntlich sind gerade Kinder die besten Beobachter.
Der zweite Akt ist dagegen ein schillerndes und farbenprächtiges Fest. Purer Genuss fürs Auge. Hier führt Drosselmeier seine künftige Schülerin Marie durch eine üppige Folge klassischer Ballettreißer: ein „Lebender Garten“ für vier Paare und Damenensemble, ein temperamentgeladenes spanisches Intermezzo, ein verschachtelter Exotik-Pas de deux (fabelhaft: Jeanette Kakareka und Henri Grey, die zuvor Maries eher steife Eltern mimten), das Flatterhafte eines chinesischen Vogels (Marta Navarrete Villalba) und schließlich ein Ballerinen-Pas de quatre gefolgt von einer Vier-Männer-Variation.
Gekrönt wurde das Ganze von einem Grand Pas de deux, in dem Toppi und Gouneo wahrhaft glänzten. In dieser magischen Welt des Theaters geht es bei Neumeier um Loslassen, Erwachsenwerden und das Ausleben von Träumen. Wirklich eine schöne Bescherung.
Bayerisches Staatsballett: John Neumeiers „Der Nussknacker“ am 20. Dezember im Nationaltheater; nächste Vorstellungen: 29. Dezember 2019 und 2. Jänner 2020