Mit einem skandinavischen Abend eröffnete das brut sein diesjähriges, unter das hehre Motto "We dance what you think." gestelltes imagetanz-Festival. Die NorwegerInnen Ingrid Berger Myhre und Lasse Passage zeigten ihr „Panflutes and Paperwork“, die Isländerin Inga Huld Hákonardóttir „Again The Sunset“. Erstere korrelieren spielerisch Musik und Tanz, die zweite kreist. Nicht nur auf Holz.
Ingrid Berger Myhre & Lasse Passage: „Panflutes and Paperwork“
Irgendwie verloren stehen zwei Scheinwerfer im Hintergrund der großen Bühne. Weiter vorn Notenständer, Stuhl, Gitarre. Die beiden PerformerInnen Ingrid Berger Myhre, derzeit in Brüssel lebende Choreografin und Performerin, und der Komponist und Musiker Lasse Passage empfangen das Publikum. „Bits and bops. Meet and greet. Lost and found. Fish and ships.“ Mit Konjunktionen solcher Art arbeiten die beiden zu Beginn. Die Sprache wird Rhythmus, Gesang, Taktgeber für Kniebeuge, ent-vokalisiert. Sehr amüsant. Sie gehen Schrittfolgen in eigenen Kreisen im Gleichschritt, 8 5 6 3 4 2, hüpfen Synkopen, treffen sich wieder vor dem Notenpult.
Sie stellen sich vor mit Name und Beruf. Er spielt Gitarre, singt mit sehr schöner Stimme, während sie tanzt. Beide verstehen ihr Fach. Sie tauschen die Rollen und Berufe. Sie klimpert und singt „nicht ganz so gut“ wie er, er tanzt den Laien. Ihre kurz gestellten Körper-Skulpturen alternierend abtastend bilden sie eine sich durch den Raum fortpflanzende Reihe. Mit Klanghölzern in den Händen nebeneinander sitzend schlagen sie Rhythmen und tanzen mit den Köpfen Tennis-Zuschauer. Zu Konserven-Beats bauen sie Klangholz-Figuren. Bald fließen Wellen aus vier Hölzern durch den Raum. Die Stäbe tanzen eine perfekt abgestimmte Choreografie.
Und dann kommen sie mit Stühlen und Pult ganz nah vors Publikum. „Turning things around“ spielt er. „Für alle, die das Gefühl kennen, auseinanderzufallen.“ Sie reden von vielen Situationen, stellen das Wirre, Paradoxe, Skurrile und Befremdliche aus. Und dann wird das Licht warm: „Menschen, die in der Metro schlafen müssen. Nicht, weil sie die letzte Metro verpassten. Pokerfaces, die nie Poker spielten.“ Sie singen ein Duett und wärmen die Herzen im Saal ...
Von ausgeprägter Struktur und dominantem Ratio arbeiten sich Ingrid Berger Myhre und Lasse Passage in ihrem Stück „Panflutes and Paperwork“, in dem Panflöten übrigens nie erscheinen, langsam ins Fließen und kluges Emotio hinein. Diese äußerst phantasievolle und anspruchsvolle Choreografie besticht mit der Harmonie der AkteurInnen, ganz eigener Ironie und trotzdem viel Wärme. Mit ihrer allem zu Grunde liegenden Leichtigkeit und trotzdem größter Aufmerksamkeit kommunizieren und interagieren die beiden sympathischen PerformerInnen.
Inga Huld Hákonardóttir: „Again The Sunset“
Am P.A.R.T.S. in Brüssel, wo sie immer noch lebt, graduierte 2014 die 1990 in Island geborene Choreografin, Performerin und Tänzerin Inga Huld Hákonardóttir. Ihr Partner, der in Brüssel lebende französische Komponist Yann Leguay, schafft seit 2007 auch Skulpturen und Installationen. Hier elektronische Klänge und monotone Rhythmen mit natürlichem Material.
Die Bühne ist dunkel, nur schwaches Licht erhellt die auf dem Boden stehende Technik links, den aufrecht stehenden brusthohen Holz-Kubus in der Mitte und einen weißen Stein-Quader rechts. Inga Huld Hákonardóttir tanzt klassisch-zeitgenössisch im Kreis und singt von Erinnerungen. Sie scheint verzweifelt.
Sie produzieren Klänge aus und mit roher Substanz. Der lange Kubus aus Holz wird unter ihren monotonen alternierenden Langhammer-Schlägen zum krachend tickenden Sekunden-Zeiger, zum langsam auf der Stelle rotierenden Grund, auf dem sie stehen. Aber rückwärts läuft die Uhr! Unerbittlich. Der elektronisch fortgeführte Rhythmus vergeht im Rauschen.
Er macht ein knisterndes Feuer aus Scheiten und brandschutztechnisch sicherer Notebook-Flamme, geht an die Ton-Technik. Sie tanzt zum Rauschen von Wellen, windet sich am Boden, kämpft, ringt nach Luft, spricht beim Ein- und Ausatmen. „Was ist in uns? In etwas? Wenn wir den Sunset zusammen anschauen ... wir schmelzen zusammen.“ Er klopft Takt zum Knistern der Feuer. Sie spricht weiter. Vom Eins-Sein des Körpers.
„Again the Sunset“ ist eine tiefe, poetische philosophisch-quantenphysikalisch-psychologisch-spirituelle Reflexion über das Sein und den Menschen in seiner, in der Ewigkeit, das Eins-Sein mit allem, die Reinkarnation und die „ewige Wiederkehr des immer Gleichen“. Gibt es Entwicklung? Und Fortschritt? Das Konzept aus sehr viel Text, Tanz, Sound, Licht und Materialität geht auf. Und ein.
Ingrid Berger Myhre & Lasse Passage: „Panflutes and Paperwork“ / Inga Huld Hákonardóttir: „Again The Sunset“, Eröffnung imagetanz am 7. März 2020, brut im Ankersaal in der Brotfabrik Wien